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Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)

Titel: Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
Autoren: Erik Kellen
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Spätnachmittagssonne, als sie am Queens Shelter hielten, dem größten Bahnhof der westlichen Hemisphäre. Hier trafen die Adern des gesamten Reiches zusammen und dehnten sich wieder aus. Ein ständiger Strom aus Mensch und Ware ballte sich hier zusammen, um sich nach seiner Verladung bis in die entlegensten Winkel der Welt aufzumachen.
    Gigantische, mit poliertem Kupfer ummantelte Eisenträger bildeten ein Geflecht über all dem Gewimmel. Zwei ineinander verschränkte Hände waren das Dach dieser unglaublichen Konstruktion. Sie war von dem deutschen Hofarchitekten Krimmer entworfen worden, der das bevorzugte Thema der Königin damit aufnahm: Wir alle leben unter den schützenden Händen der Krone.
    Robert Humberstone stieg aus, rückte seine Uniform zurecht und versuchte sich gegen all den Lärm, den so viele geschäftige Menschen verursachten, zu wappnen. Der Fahrer lud derweil die Reisekoffer aus. Ein Junge in zu kurzen Hosen und schmutzigen Schuhen bot mit gesenktem Blick eine Zeitung feil. Robert gab ihm eine Münze für das aktuelle Abendblatt. Als dem Jungen klar wurde, was er da in den Händen hielt, drehte er sich um, zog die Mütze vom Kopf und salutierte, als wäre er ein Soldat. Robert nickte. Dann fiel der Blick des Jungen auf seinen linken Arm. Er salutierte nochmals. Ehrfürchtig nun. Robert wandte sich ab.
    Eine graurote, schlecht sitzende Uniform schob sich durch die Menge und kam auffallend zielstrebig auf ihn zu. Ein blasser, braunhaariger Kerl, der im ganzen Gesicht Sommersprossen hatte. Keuchend kam er vor dem Lord zum Stehen.
    »Verzeihung, Sir.« Er wischte sich Schweiß von der Stirn. »Ich habe Sie am falschen Gate erwartet.« Er winkte hektisch hinter sich, worauf sich ein paar Gepäckträger aus der Menge schälten, als hätten sie sich dort zu verstecken versucht. Der kleine Mann deutete auf die Koffer und binnen Sekunden waren sie auf einen Karren verladen.
    »Ich bin Fähnrich Colin Coldlake, Ihr Sekretär auf dieser Reise, sozusagen.« Seine Hand schnellte vor, als wollte er die des Lords schütteln, dann besann er sich der Unterschiede von Rang und Namen und zog sie so schnell wieder zurück, als habe er sie in eine Flamme gehalten. Sein Blick blieb ein wenig zu lang an der Prothese haften. Was war da in seinen Augen? Bewunderung? Angst? Neugier?
    Jedenfalls keine Abscheu.
    »Sehr schön, Fähnrich Coldlake. Gehen Sie voran, wenn Sie so weit sind.« Man gab ihm also, ohne auch nur eine Spur zu verwischen, einen Agenten des Geheimdienstes an den Rockzipfel? Das war lächerlich.
    Colin Coldlake redete gern. Er redete über das schöne Wetter, den schönen Bahnhof, die neuesten Nachrichten aus den verfluchten Vereinigten Staaten, über seine kleine Schwester, die vor kurzem einen Unfall mit ihrem ersten Fahrrad gehabt hatte. Ein Problem mit den Stützrädern. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Das war seine Devise.
    Robert hörte nicht zu, er konzentrierte sich darauf, die  vielen Geräusche auszublenden, die um ihn wogten. Rufe, Weinen, Abschied, Wiedersehen, Lachen, während der kleine Coldlake die Menge immer wieder mit den Worten: »Im Auftrag der Königin!« vor sich teilte und mit den Armen dabei fuchtelte, als verscheuche er Fliegen von einem Früchtekuchen.
    Die Flaggen des Königreiches hingen von den Fingern der Dachkonstruktion, markige Gemälde zeigten kämpfende Soldaten in siegreichen Gefechten - neben Aufrufen, sich der stolzen, königlichen Armee anzuschließen. Daneben standen Männer in schicken Uniformen, mit Klemmbrettern und wachsamen Blicken. Jeder ein Held mit einem Stift in der Hand.
    Endlich gelangten sie in den Bereich des Bahnhofs, der dem Militär vorbehalten war.
    Als sie aus dem Tunnel ins Freie traten, wirkte der Zug, der sich vor Robert aufbaute, wie eine zum Leben erweckte alte Sage. Die gigantische Lok glitzerte im ersten Abendlicht wie von Metall übergossene Muskeln. Das Lieblingstier der Königin, der Löwe, war auf unheimliche Weise mit der modernsten Technik des Empires verschmolzen worden. Robert hatte schon als Kind diese Formen geliebt und sie in Modellen nachgebaut. Sein Vater hatte diese Leidenschaft gehasst. Für ihn waren Schiffe die einzig wahre Welt eines Mannes. Doch Robert hatte dies nie verinnerlichen können. Für ihn gab es zwei Koordinaten und einen Weg dorthin. Und was gab es Vollkommeneres, als einen Weg, der schon vorher geschaffen worden war, um ihm dann zu folgen. Die See war ein Ort der blanken Ungewissheit, Schienen hingegen
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