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Das Liebesspiel - Tripp, D: Liebesspiel

Das Liebesspiel - Tripp, D: Liebesspiel

Titel: Das Liebesspiel - Tripp, D: Liebesspiel
Autoren: Dawn C Tripp
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Anfang stieß. Meine Mutter hat sie zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben markiert, Zeilen an den Rand geschrieben, silbriger Bleistift …
    Und ich sah im Drehn so klar eines Kindes
    Vergessene Morgen, als es mit der Mutter ging
    Durch die Parabeln
    Von Sonnenlicht
    Wer ist er denn – dieser Junge – ich sah dich in ihm,
    In seinen Augen voller Leere …
    Ein Schauder durchfährt mich – als hätte ich sie gefunden, hätte jene unveränderliche, nicht greifbare Essenz berührt, die sie ausmacht. Ich würde gerne wissen, was dieses Buch für sie war, ich würde sie gerne fragen, warum sie schrieb, was sie schrieb, was sie damals sah, fühlte, was sie verbarg, betrauerte, erhoffte, was sie wusste. Im ersten Moment will ich zurückblättern, jede Notiz lesen, die sie an den Rand dieses Buches gekritzelt hat, so als würden all diese Fragmente zusammen eine Geschichte offenbaren, einen Sinn ergeben. Als wären es nicht lose Enden, von denen wir leben – ich sah dich in ihm –, als würde alles einen Sinn ergeben.
    In der Küche nehme ich ein Messer und schneide ein Viereck aus der Seite heraus. Ich schneide so, dass ich die von ihr unterstrichenen Sätze und die Randbemerkung gemeinsam heraustrenne. Den Ausschnitt lege ich auf den Tisch. Ihre Bleistiftstriche sind mit den Jahren heller geworden, weniger deutlich, und doch tut mir leid, was ich getan habe: das Herausschneiden, das Werk meiner Hände …
    Ich beginne das Papierviereck zu falten, die gedruckten Worte und die Worte in ihrer Schrift, sie tauchen auf, verschwinden, tauchen wieder auf.
    Ich war nicht da, als Ada starb. Es war um Weihnachten herum, letzten Winter. Ich war noch in Kalifornien. Für die Feiertage hatte ich kommen wollen, aber ich hatte zu tun und es gab keinen billigen Flug. Es schien sich nicht zu lohnen.
    Es war Alex, der mir das mit Ada erzählte, als ich eines Tages zu Hause anrief und er ans Telefon ging. Es sei ihr schon länger schlecht gegangen, sagte er, sie hätte sich erkältet, es zog auf die Lunge, es ging schnell. Er erzählte es so, als sei sie ein älterer Mensch wie jeder andere, als sei es eine Meldung aus irgendeiner Todesanzeige, die er gelesen hatte. Dabei wusste er es besser. Da erzählte er mir nämlich von unserer Mutter und dem Spiel. Er tat es widerstrebend, wollte mir den Teil der Geschichte nicht schildern, tat es aber trotzdem. Ich legte auf und ließ die Schlussfolgerungen ungefähr einen Tag durch mich treiben, ehe ich den Flug nach Hause buchte.
    Meine Mutter redet nicht über ihre Freitage. Steht einfach morgens auf, trinkt ihren Kaffee, packt ihr Mittagessen ein, und dann ziehen sie los. Sie hat nie laut ausgesprochen, dass es Ada ist, die sie dort trifft. Aber ich weiß es. Ich erinnere mich, wie ich sie in dem unbenutzten Zimmer oben überraschte. Ich erinnere mich, wie zärtlich sie diese kleinen Kleidungsstücke faltete, Samuels Sachen, faltete sie, immer wieder neu, mit solcher Hingabe, solch erlesener Sorgfalt. Sie war nicht verrückt, das begreife ich jetzt langsam. Sie war eine liebende Frau.
    Es ist nach fünf am Nachmittag, als meine Eltern in die Zufahrt einbiegen. Während meine Mutter in der Küche mit dem Abendessen anfängt, geht mein Vater nach vorne, um die Post zu holen. Ich nehme das Scrabble-Spiel aus dem Regal, wo sie es hingestellt hat. Ich trage es ins Esszimmer, klappe das Brett auseinander, stelle zwei Bänkchen auf. Im Deckel drehe ich alle Steine auf die Buchstabenseite. Ich sitze am Tisch, auf ihrem Platz der gefaltete Vogel, den ich aus der Buchseite für sie gemacht habe.
    Einmal, als ich klein war, verirrte sich eine Schwalbe in unser Haus. Meine Mutter war bei mir, und der kleine Vogel flog durch diese Zimmer hier unten – stieß an Decken, im Sturzflug auf das Fenster zu, gegen die Scheibe und fiel mit einem Plumps zu Boden, betäubt. Langsam kam er wieder auf die Beine, wacklig. Meine Mutter stellte sich hinter ihn und fing ihn mit den Händen. Sie trug den Vogel zur Tür. »Willst du ihn mal halten, Schätzchen«, fragte sie mich, »bevor wir ihn freilassen?« Ich griff danach. »Sei vorsichtig. Nicht drücken.« Sie ließ das zitternde Ding in meine Hände gleiten und wölbte ihre Finger darum.
    So etwas vergisst man nie so ganz – das Schaudern eines Herzens, das seidige Schillern dieser Flügel.
    Das Telefon klingelt. Ich höre, wie sich meine Mutter in der Küche meldet. Ich höre, wie sie seinen Namen sagt. Ich warte. Als sie mich suchen kommt, sieht sie
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