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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Autoren: M. L. Stedman
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aus.
    Vorzubereiten gab es nicht viel und auch niemanden, von dem Tom sich hätte verabschieden müssen. Und so ging er zwei Tage später, nur mit einer Reisetasche ausgerüstet, an Bord eines Schiffs. Die SS Prometheus tuckerte die australische Südküste entlang und machte auf der Fahrt von Sydney nach Perth in verschiedenen Häfen Station. Die wenigen für die Passagiere der ersten Klasse reservierten Kabinen befanden sich am Bug auf dem Oberdeck. In der dritten Klasse teilte Tom eine Kabine mit einem alten Seemann. »Ich mache diese Tour jetzt schon seit fünfzig Jahren. Die wären nie so frech, von mir zu verlangen, dass ich dafür bezahle. Das bringt nämlich Unglück«, verkündete der Mann gut gelaunt und wandte sich wieder der großen Flasche extrastarkem Rum zu, mit der er sich meistens beschäftigte. Um den Alkoholdünsten zu entfliehen, gewöhnte Tom sich an, tagsüber an Deck spazieren zu gehen. Abends wurde meistens unter Deck Karten gespielt.
    Es war auf den ersten Blick zu erkennen, wer »in Übersee« gewesen war und wer den Krieg zu Hause ausgesessen hatte. Man konnte es an einem Mann regelrecht riechen, und die beiden Gruppen hielten Abstand. Der Aufenthalt in den Gedärmen eines Schiffs weckte Erinnerungen an die Truppentransporter, die sie erst in den Nahen Osten und dann nach Frankreich gebracht hatten. Und schon nach wenigen Minuten an Bord wusste jeder beinahe instinktiv, wer Offizier und wer ein einfacher Soldat gewesen war und wo derjenige gekämpft hatte.
    Wie auf den Truppentransportern war es wichtig, eine sportliche Betätigung zu finden, um ein wenig Leben in die Bude zu bringen. Das Spiel, für das man sich schließlich entschied, war ziemlich einfach: wem es gelang, sich ein Souvenir aus der ersten Klasse zu sichern, hatte gewonnen. Allerdings ging es nicht um irgendein Souvenir. Bei dem begehrten Gegenstand handelte es sich um einen Damenschlüpfer. »Das Preisgeld verdoppelt sich, wenn sie ihn zum fraglichen Zeitpunkt anhat.«
    Der Rädelsführer, ein Mann namens McGowan, der einen Schnurrbart und von seinen Woodbine-Zigaretten gelbe Finger hatte, sagte, er habe sich bei einem der Stewards nach der Passagierliste erkundigt. Die Auswahl sei begrenzt. Insgesamt gebe es zehn Kabinen. Ein Anwalt und seine Frau – um die mache man lieber einen großen Bogen. Einige ältere Ehepaare, zwei alte Jungfern – vielversprechend – und – am besten – die Tochter irgendeines hohen Tiers, die allein reiste.
    »Wir sollten außen am Rumpf hinauf und dann durch ihr Fenster klettern«, verkündete er. »Wer ist dabei?«
    Die Kühnheit des Vorhabens erstaunte Tom nicht. Er hatte seit seiner Rückkehr schon viele ähnliche Geschichten gehört. Männer, denen es zur Gewohnheit geworden war, aus einer Laune heraus ihr Leben zu riskieren – sie benutzten die Schranken an Bahnübergängen als Reithindernisse und schwammen in reißende Strömungen hinein, nur um festzustellen, ob sie auch wieder herauskommen würden. So viele Männer, die in Europa dem Tod knapp von der Schippe gesprungen waren, schienen nun süchtig nach seinen Verlockungen zu sein. Allerdings waren diese Männer jetzt frei in ihren Entscheidungen. Vermutlich war der große Plan nichts als leeres Gerede.
    Da Toms Albträume in der folgenden Nacht schlimmer waren als sonst, beschloss er, ihnen zu entfliehen, indem er einen Spaziergang an Deck machte. Es war zwei Uhr morgens, und da er sich um diese Zeit an Bord frei bewegen konnte, schritt er das Schiff systematisch ab. Zuerst betrachtete er das Mondlicht, das sich im Wasser spiegelte. Dann stieg er zum Oberdeck hinauf, wobei er sich wegen der leichten Dünung am Geländer festhalten musste. Oben blieb er kurz stehen und genoss die frische Luft und die funkelnden Sterne am nächtlichen Firmament.
    Aus dem Augenwinkel sah er, dass aus einer der Kabinen ein Lichtstrahl kam. Offenbar litten selbst Passagiere der ersten Klasse unter Schlafstörungen, dachte er. Im nächsten Moment meldete sich sein sechster Sinn – das vertraute, nicht in Worte zu fassende Gefühl, dass es gleich Ärger geben würde. Er schlich zur Kabine und spähte zum Fenster hinein.
    Im Dämmerlicht sah er eine Frau, die an die Wand gepresst dastand, wie angewurzelt, obwohl der Mann sie nicht berührte. Allerdings war sein Gesicht nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, und es malte sich der lüsterne Ausdruck darauf, den Tom schon zu oft gesehen hatte. Er erkannte den Mann vom Unterdeck, und das Preisgeld
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