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Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2

Titel: Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
Autoren: Don Winslow
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wild mit den Armen. Dann verschwand er in der Dunkelheit. Sein Schrei hallte durch die Nacht.
    Dann hob der Fahrer Neal auf die Arme.
     
     
20
     
    Robert Pendleton kniete sich in das Reisfeld und entnahm ein Reagenzglas feuchte Erde. Er hielt es hoch ins Licht, betrachtete es sorgfältig.
    »Der Nitrogen-Gehalt ist das entscheidende, wie Sie wissen.«
    Zhu lächelte und nickte.
    »Wir nehmen es mit ins Labor und sehen, was drin ist«, sagte Pendleton. Er watete zum Rand des Feldes, schüttelte den Matsch von seinen Schuhen und sah sich um. Dwaizhous Felder leuchteten grün und fruchtbar in der Morgensonne. Er inhalierte den feinen Geruch der Reispflanzen, so ganz anders als der sterile Duft im Labor; viel reicher.
    AgriTech, erinnerte er sich, hatte immer behauptet, sie seien, »wo die Action ist«. Nein, dachte er, hier ist die Action.
    Was würden die Jungs im Büro bloß sagen, wenn sie mich jetzt sehen könnten? In meinem grünen Mao-Anzug, mit der kleinen Mao-Kappe, den Plastiksandalen? Wahrscheinlich würden sie mich nicht mal beim Firmenausflug aufdecken lassen.
    Na und?
    Er entschied sich, zu Hause Mittag zu essen, gab dem alten Zhu das Reagenzglas und sagte, er würde ihn später in ihrem selbstgebauten Labor treffen. Das Labor war ziemlich gut. Nicht wie bei AgriTech, aber völlig okay, wenn man darüber nachdachte, und sie hatten Xao eine Einkaufsliste gegeben, die er erledigen konnte, soweit Zeit, Geld und Geheimhaltung es zuließen.
    Pendleton spazierte über den kleinen Damm zwischen den Feldern, dann die Straße entlang, vorbei an dem Kaninchen-Wald zu seinem einfachen Blechdachhaus am Ende der Brigade. Er fand eine Schüssel kalten Reis mit Fisch, eine warme Flasche Bier, setzte sich an den schlichten Holztisch.
    Das Essen war gut, das Bier noch besser, aber er wäre froh, wenn Li Lan nach Hause kam. Alles war besser, wenn sie da war. Sie konnte jeden Tag vom Berg nach Hause kommen, jeden Tag.
    Er aß den Reis und spekulierte über den Nitrogen-Gehalt in Dwaizhous Boden. 
     
    Neal Carey weigerte sich zu essen. Er saß in seiner dunklen Mönchszelle auf dem kang und sah die Reisschüssel, die der Mönch jeden Tag brachte, nicht einmal an. Irgendwo in seinem Körper war Hunger zu spüren, aber der Schmerz und die Schuld verdrängten ihn. Li Lan war seinetwegen tot. Pendleton war seinetwegen tot. Er wünschte, der Fahrer hätte ihn von der Klippe geworfen, statt ihn in dieses versteckte Kloster auf der Westseite des Berges zu tragen. Er wünschte sich, Xiao Wu hätte ihn getötet statt Simms. Er wünschte, er wäre tot. Er würde nicht essen, um am Leben zu bleiben.
    Der Mönch zog die Vorhänge vor den Fenstern weg, um das Mittagslicht hereinzulassen. Wie viele Tage waren es jetzt, fragte sich Neal. Sieben? Acht? Wie viele Tage brauchte man, um zu sterben?
    »Du mußt essen«, hörte er eine Frauenstimme sagen.
    Das Englisch überraschte ihn, er sah auf. Wer sprach englisch auf diesem verdammten Berg?
    Li Lan stand in der Tür. Sie trug eine weiße Jacke und eine weiße Hose. Weiße Bänder hielten ihr Haar. Weiß, erinnert er sich, war die Farbe der Trauer in China. Hinter ihr stand ein alter Mann. Die Ähnlichkeit war verblüffend, obwohl er einen grünen Mao-Anzug mit einer schlichten weißen Armbinde trug. Neal zwinkerte, um die Halluzination zu vertreiben. Er begriff, daß sein Unterbewußtsein verzweifelt versuchte, die Schuld zu verdrängen. Deshalb hatte es Li Lan für ihn zum Leben erweckt. Aber die Vision verschwand nicht. Sie blieb in der Tür stehen, in Licht getaucht.
    Dann verstand er. Es war nicht Li Lan, es war ihre Schwester. Sie waren Zwillinge.
    »Du mußt essen«, wiederholte sie.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Du mochtest, was ich gekocht habe.«
    Er sah wieder auf.
    »Ich lebe«, sagte sie. »Und Robert auch.«
    »Ich habe gesehen…«
    »Meine Schwester, Hong. Meine Zwillingsschwester. Als wir Babys waren, banden Vater und Mutter blaue Bänder in mein Haar und rote Bänder in ihr Haar, um uns zu unterscheiden.«
    Zwillinge.
    »Meine Schwester hat dich aus der Geschlossenen Stadt geholt, meine Schwester hat dich in Leshan besucht und gebeten, nach Hause zu fahren, meine Schwester hat mit dir geschlafen.«
    Schwester Hong. Die Schauspielerin.
    »Sie hat mir erzählt, daß ihre Schwester ihre Mutter getötet hätte.«
    »Sie sprach von sich selbst. Sie ist nie über ihre Schuld hinweggekommen. Sie hat sich selbst in Buddhas Spiegel gefunden.«
    Der Raum drehte sich um Neal.
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