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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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nicht fort – auch die Toten haben ihre Straßen, sie streifen umher und versuchen sich zu erinnern, aber was sie einmal ausmachte, ähnelt einem Bandsalat. Verdreht und ein einziges Chaos. Da war nun wirklich nichts mehr zu machen.
    Was Abraham anging: Er verstand in letzter Konsequenz weder die Toten noch ihre Mörder. Man bezahlte ihn dafür, den einen Gerechtigkeit zu verschaffen und die anderen zu verhaften. Und mit beiden war es immer dasselbe: Man bohrte sich einen Weg in sie hinein und stellte dann fest, dass sie innen alle hohl waren. Der Kern seiner Arbeit als Polizist bestand vor allem darin, Fragen zu stellen. Im Grunde waren seine Neugier, sein unerbittliches Nachstellen, wenn er das Gefühl hatte, vor einem Mörder zu stehen, seine einzige echte Waffe. Sie war, für sein Gegenüber jedenfalls, gefährlicher als seine Dienstpistole, die er noch nie benutzt hatte.
    Wozu auch?
    Die meisten Killer, die er festnahm, waren im Grunde erbärmliche, armselige Gestalten – stark, mächtig und grausam nur im Angesicht ihrer Opfer. Sobald sie aber vor dem Gesetz standen, wussten sie früher oder später, dass ihre Spielchen vorbei waren. Ihre mühsam aufrechtgehaltene Fassade brachzusammen – und unter den Ruinen fand sich ihre wahre Natur.
    Jeder Beamte in einer Mordkommission erinnerte sich an seinen ersten Fall, an den Anblick der ersten Leiche, an den ersten Mörder, dem er begegnet, den er verhört, überführt und festnimmt. Nun, so sollte es laufen, genau in dieser Reihenfolge. Abraham jedoch konnte mit Fug und Recht behaupten, dass er einen ganz bestimmten Mörder schon sein Leben lang kannte. Über diese Tatsache kam er nicht hinweg; sie war Fluch und Antrieb zugleich. Irgendwann würden ihn diese Fliehkräfte zerreißen. Noch hielt er stand, aber es gab Anlass zur Sorge, denn sein Vater wurde aus dem Gefängnis entlassen. Sein Vater hatte ihn zu dem Mann gemacht, der er war. Da gab es nichts zu leugnen. Also ging er in seinem Schatten, der so kalt und trostlos war wie die Unermesslichkeit des Universums.

KAPITEL
ZWEI
    Abraham lebte seit geraumer Zeit in einer spartanisch eingerichteten Zweizimmerwohnung in Charlottenburg. Er lebte alleine, getrennt von Tisch und Bett, wie man so sagt, in seinem Fall hieß das: getrennt von Erin, der einzigen Frau in seinem Leben, die ihm so viel bedeutete, dass er sie geheiratet hatte.
    Vor ihr hatte sein Leben aus einem Strom von Gesichtern und Ein-Weg-Gefühlen bestanden, sich verschwendende, verleihende Körper, die nicht mehr als einen warmen und mit jeder weiteren Minute ihrer Abwesenheit rasch abkühlenden Abdruck auf den Laken hinterließen, geschichtslose Verbindungen, die keinen Halt boten.
    Als sie sich begegneten, befand er sich immer noch auf derFlucht vor seinem Leben. Ein junger Kerl mit bereits alten Augen, der manchmal zu viel trank und einen unheilvollen Drang zum Schweigen, zum schwermütigen Brüten besaß. Er redete nicht viel, aber was er sagte, hatte Hand und Fuß, und sie hatte zuvor nicht viele Männer wie ihn getroffen. Nur manchmal war es schwer, zu ihm durchzudringen, vor allem, wenn er sich in einen Fall verbiss und alles darüber hinaus beiseiteschob, darunter auch sie. Er war ein Mann, der gerade dabei war, sich an der Hand seines Mentors Lohmann in die ungewisse Dunkelheit der Mordermittlungen vorzutasten. Schroff anmaßend, ja frech – gefangen in der Politik der Angst einer verkorksten Jugend, die er nur dank seines Bruders psychisch angeschlagen, aber noch intakt und nicht zerbrochen überstanden hatte.
    Erin hingegen war die älteste Tochter eines Industriellen aus dem mittleren Westen, eine langbeinige, blonde amerikanische Schönheit, die in Europa als Model arbeitete. Sie kam auf Umwegen über Mailand und Paris nach Berlin. An einem regnerischen Montagmorgen lief sie, das Gesicht von Wind und Wetter gerötet und mit einem Regenfilm überzogen, der sie dazu zwang, sich ständig über die Augen zu wischen, in Abraham hinein und fand sich in seinen Armen wieder. Wie bei einem Fotoapparat machte es laut und deutlich »Klick«.
    Sie heirateten, schnell kamen nacheinander Judith und Tyler, sie kauften ein Haus in Berlin, sie liebten sich, lachten, sprachen, und alles war gut. Sie hatten wie alle Liebenden einen Pakt miteinander geschlossen, und sie waren wie alle Liebenden von einem Leuchten umgeben.
    Und dann nicht mehr.
    Keine Liebe scheitert von heute auf morgen.
    Abraham erschien immer öfter nur als Gast im eigenen Leben, und das
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