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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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zu Abraham:
    »Mein Gott, wie halten Sie solche Typen nur aus?«
    »Gar nicht. Deswegen habe ich auch immer ein so nettes und sonniges Gemüt.«
    Draußen wartete Ninas Freund auf Abraham, ein intelligenter, sanfter Junge aus dem Kongo, der seit drei Jahren an der FU Medizin studierte. Er war am Boden zerstört und wollte unbedingt den Leichnam sehen.
    »Tun Sie sich das nicht an. Behalten Sie sie nicht so in Erinnerung«, sagte Abraham, »glauben Sie mir, in Ihren Träumen wollen Sie sie nicht in diesem Zustand sehen.«
    »Ich hätte sie nicht alleine gehen lassen dürfen«, sagte er unter Tränen. »Ich wusste nicht, wie verrückt ihr Vater ist.«
    »Sie musste das alleine hinter sich bringen«, sagte Abraham, weil er den Jungen beruhigen wollte und ihm nichts Besseres einfiel.
    »Ich kann gar nicht glauben, dass ihr Körper so zugerichtet ist«, sagte Ninas Freund. Unglücklicherweise hatte er von einem der Beamten erfahren, was Nina geschehen war.
    »Gestern noch haben wir miteinander geschlafen und uns versprochen, aufeinander aufzupassen«.
    Jetzt machte er sich die schlimmsten Vorwürfe – er hatte das Versprechen seiner Meinung nach gebrochen.
    »Wissen Sie, was das Allerschrecklichste an der ganzen Sache ist?«, fragte er Abraham und gab sich gleich selbst die Antwort darauf. »Das Schrecklichste ist, dass sie so mutig war, meine Nina. Sie war die tapferste Person, der ich jemals begegnet bin – und sehen Sie nur, wie feige, ruchlos und mörderisch ihre Erzeuger sind.«
    Darauf gab es nun wirklich nichts mehr zu sagen.
    Dieser Fall hatte Abraham wirklich zugesetzt. Auf dem Weg ins Büro hielt er mit seinem Toyota am Straßenrand und machte eine Zigarette nieder. Dabei dachte er an Nina, er dachte so stark und intensiv an sie, dass er sie vor seinem inneren Auge förmlich reanimierte. Ihr Körper war in dieser Vision intakt,frei von den grausamen Wunden, die man ihr zugefügt hatte. Selbst ihr Kopf befand sich an seinem Platz. Sie hatte ein hübsches Gesicht, aber ihre Augen waren trübe und traurig, weil sie den längsten Teil ihrer Wegstrecke nur Verzweiflung und Gewalt erlebt hatten.
    Abraham hatte mit einem Mal schreckliche Kopfschmerzen, als er die Augen schloss und sich gleichzeitig in ihm ein Raum öffnete, in dem sich Nina Krawczyk befand. Er sah sie alleine im Zimmer ihres Wohnheimes stehen, sie hatte gebadet und betrachtete sich nackt wie sie war im Spiegel. Ihre Kleidung, es war die, die sie am Leib trug, als sie starb, und die damit zu ihrem Totengewand wurde, lag auf einem Stuhl für sie bereit. Abraham sah sie wie in einem Film, in dem er selbst nur am Rande auftauchte, eine unsichtbare Präsenz außerhalb des Bildes.
    Er rief ihren Namen, und er warnte sie davor, zu ihren Eltern zu gehen, aber weder sah noch hörte sie ihn.
    Stattdessen machte sie sich bereit für die letzte Konfrontation mit ihrem Vater – er hörte, wie sie zu sich selbst sprach:
    »Es ist gut jetzt, ich weiß, dass ich nicht zerstört bin, auch wenn sie mir das weismachen wollen. Ich bin dabei, ein neuer Mensch zu werden. Ich bekomme einen Anfang – jetzt endlich richtig, so wie es sein sollte, denn ich liebe und werde geliebt, was kann mir da schon geschehen? Sie können mir nicht mehr antun als das, was sie immer schon getan haben.«
    Aber sie sollte sich auf entsetzliche Weise täuschen.
    Die Vision ließ ihn ratlos und beschädigt zurück. Abraham hatte sie nicht retten können. Er hatte nichts von ihr gewusst, obwohl ihm klar war, dass die Stadt voller Menschen war, die mit dem Rücken zur Wand lebten. Er fand diese Menschen früher oder später – einige von ihnen musste er dann verhaften, weil sie sich für die dunklen Nebenstraßen mit ihren mörderischen, selbstzerstörerischen Konsequenzen entschieden hatten;jede von ihnen war eine Sackgasse, an deren Ende Abraham und das Gesetz, dieser ewig steinerne Richter, warteten. Der größte Teil allerdings war so grau und öde geworden wie die Leben, die sie führten. Ihre Hölle bestand darin, immer weitermachen zu müssen mit einer Existenz, die ihnen inzwischen selbst ein Rätsel war und das zu lösen sie nicht mehr imstande waren. Und wenn es doch einmal gelang, dann mit verheerenden Folgen. Erkannte man erst einmal die bittere Wahrheit – dass es Liebe und Freundschaft nicht mehr gab (aber es hatte sie einmal gegeben und die Erinnerung daran war wie eine Wunde, in die man seinen schmutzigen Daumen reinsteckt), dann war man erledigt.
    Was Nina betraf: Sie war
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