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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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Zugang zu der Wohnung. Was sie dort vorfanden, veranlasste sie dazu, dem Freund den Zutritt zu verweigern und die Mordkommission zu verständigen. Denn das Erste, was sie sahen, als sie die Tür aufbrachen und den Blutspuren ins Schlafzimmer folgten, war die Gestalt eines Mannes, der nur mit Unterhose und Unterhemd bekleidet in einer Blutlache kniete und dabei war, seiner eigenen Tochter den Kopf abzutrennen, während seine Ehefrau gerade in der Absicht, jede Spur zu beseitigen, Wasser und Spülmittel in einen Eimer ließ.
    Beide leisteten keinen Widerstand, als die Polizisten ihnen Handschellen anlegten.
    »Die Wohnung ist völlig verwahrlost«, sagte einer der Beamten zu Abraham, als dieser zusammen mit Kleber den Tatort betrat. Er erzählte Abraham damit nichts grundlegend Neues; im Laufe seiner Dienstzeit hatte Abraham mehr als genügend Drecklöcher gesehen, ihre verkommene Unordnung, ihre chaotische Struktur entsprachen fast immer dem Geisteszustand ihrer Bewohner. Aber der Beamte verspürte einfach nur den Wunsch, irgendetwas zu sagen und sich für einen Augenblick nicht wie ein Mann in Uniform zu fühlen, sondern wie ein Familienvater, dessen Tochter nur sechs Jahre jünger als das Mordopfer war. Er war zwar erfahren, aber wie viel Erfahrung schützt einen schon vor dem massiven, komprimierten Pfeil reinsten Grauens, der irgendwann, irgendwo auf einen abgefeuert wird? Dieser Pfeil, in Herzhöhe platziert, findet immer sein Ziel, und er durchbohrt mit Leichtigkeit jede von unzähligen Dienstjahren vermeintlich gestählte Rüstung.
    Alle Polizisten fürchten sich vor diesem Tag, und heute war eben er dran.
    »Sie wird sicher nicht viel schöner durch die Tote«, sagte Abraham. Aber der Anblick des verstümmelten, gedemütigten Körpers des Mädchens, der im Schlafzimmer auf ihn wartete, passte in diese Szenerie; später dachte er, dass er sich ihn nicht hätte irgendwo anders vorstellen können als zwischen dem Bett und der Heizung unterm Fenster, so als wäre dieser winzige Spalt schon immer seine Bestimmung gewesen.
    »Ich wünschte wirklich, jemand würde das Fenster öffnen«, sagte der Beamte, der Abraham und Kleber ins Schlafzimmer führte.
    Er hatte das zweifelhafte Vergnügen, innerhalb von noch nicht einmal einer halben Stunde schon zum zweiten Mal das verstümmelte Mordopfer zu sehen, an seinem Gesicht war förmlich abzulesen, dass er sich bereits am Rand seiner Aufnahmefähigkeit befand. Gleich nachdem er die Wohnung verlassen durfte, um der Spurensicherung Platz zu machen, floh er in eineGasse und kotzte in den Rinnstein. Im Gegensatz zu seinem Kopf war wenigstens sein Magen in der Lage, das Gesehene zu verarbeiten.
    »Nein, lassen Sie das Fenster geschlossen«, sagte Abraham, weil er alles in sich aufnehmen wollte: die Bilder, die Geräusche, den Geruch; das, was der Tod hinterlassen hatte, die ganze deprimierende Angelegenheit.
    Abraham ging in die Knie und betrachtete Nina Krawczyk. Die Leiche schien noch im Nachhall des Todes vor Einsamkeit und Verzweiflung zu beben.
    Nina lag wie zusammengefaltet auf dem Boden. Ihr rechter Unterschenkel war unter dem Knie auf stümperhafte Weise abgetrennt, er lag verloren neben ihrem ausgestreckten rechten Arm, der tiefe Einschnitte aufwies. Das Küchenmesser hatte sich bereits durch Haut- und Muskelgewebe und Nervengeflecht geschnitten, war aber am Knochen gescheitert. Ihr Bauch war aufgeschlitzt, ihre Innereien glänzten wie die Auslage einer Metzgerei. Ihr Oberkörper war von dutzenden Messerstichen zerfetzt, eine Brust beinahe zerteilt, aber all das war nichts gegen die Verletzungen in ihrem Gesicht, es waren die schlimmsten, die Abraham und Kleber in den letzten Jahren gesehen hatten. Ein Auge war ausgestochen und hing, nur an einem dünnen Nervenstrang gehalten, wie eine surrealistische Träne auf ihrer Wange, ihr Gesicht war vom Stirnansatz bis zu den Lippen regelrecht gespalten durch einen besonders heftigen Hieb. Was Abraham noch befremdlicher, verstörender fand als die Raserei, die man ihrem Körper angetan hatte, war, dass ihre langen schwarzen Haare abgeschnitten um ihren Kopf herum lagen; verteilt wie ein makabrer Heiligenschein.
    Mord, dachte Abraham, war hier nur der Weg zum eigentlichen Ziel der völligen Auslöschung des Opfers.
    Der Hass und der Wahnsinn, den dieser Mord begleitet hatte, hingen wie eine Horde fetter schwarzer Vogelspinnen in jedem Winkel der Wohnung. Er spürte, wie diese Spinnen sich jetztin Bewegung setzten, wie sich ihre
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