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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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ihr abgeschlossen, die Dämonen meines Lebens in den Wandschrank gesperrt. Aber damit belog er sich nur selbst. Es heißt, wir selbst schreiben die Geschichte unseres Lebens, aber er hatte nach all den Jahren darauf begriffen, dass wir es sind, die von der Geschichte unseres Lebens beschrieben werden wie ein leeres Blatt Papier, das nur darauf wartet, mit Worten gefüllt zu werden.
    Denn eine der Nachwirkungen der Morde, ihrer Entdeckung, der Überführung seines Vaters und des anschließenden Selbstmords seiner Mutter war, dass Abraham Polizist wurde.
    Das Messer seines Vaters hatte diesen blutigen Pfad für ihn geschlagen, und nachdem Abraham den ersten Schock, das erste Zögern überwunden hatte, folgte er ihm auf dem mitternachtsdunklen Weg, folgte ihm selbst in seinen Träumen in eine unermesslich groteske Welt, die nichts anderes war als die Essenz seiner Arbeit und seiner Zeugenschaft als Mordermittler; und nur dort, an diesem geheimen, verborgenen Ort fühlte er sich ihm nah.
    Das mit dem Verbrechen und ihm war also naturgemäß etwas sehr Persönliches. Deswegen war Abraham in seiner Ermittlungsarbeit so rigoros. Das Wort »diplomatisch« hatte er schon lange aus seinem Wortschatz gestrichen. Er hatte den Gestus der Straße nie abgelegt – denn dort fand das Verbrechen statt. Der Schreibtisch war nichts für ihn.
    Er hatte noch nie von einem Mord gehört, der dort aufgeklärt worden wäre. Abraham konnte durchaus umgänglichsein, mitfühlend, hellwach, aber er verabscheute es zu klüngeln. Er interessierte sich nicht für aufwändige Verwaltungsakte, und er besaß keinen Sinn für die hochkomplexe, nach oben buckelnde und nach unten austretende Hausflurpolitik. Sein Umgangston, wenn er sich in der heißen Phase einer Ermittlung befand, war barsch und rau, selbst gegenüber seinen Vorgesetzten.
    Ein Teil des latenten Misstrauens gegen ihn rührte auch daher, dass er der Protegé eines inzwischen verstorbenen Mordermittlers namens Martin Lohmann war, der einen zweifelhaften Ruf genossen hatte. Abraham galt als sein Bastard, weil er sich dessen einzelgängerische Vorstellungen von Polizeiarbeit zu eigen gemacht hatte, sehr zum Ärger einiger Leute, die sich in einer höheren Besoldungsstufe als er befanden und für die Polizeiarbeit in erster Linie aus Pressemitteilungen und Öffentlichkeitsarbeit bestand.
    Lohmann war man inzwischen los, aber sein aufrührerischer Geist waberte in Gestalt Abrahams immer noch aufdringlich durch die Flure.
    Zunehmend fühlte sich Abraham vom Verbrechen regelrecht terrorisiert. Die Zeit weigerte sich hartnäckig, ihm einen Panzer wachsen zu lassen, seine Haut war immer noch so dünn und verletzlich wie zu Anfang. Jeder Mord ging ihm nahe, und es gelang ihm immer noch nicht – und in letzter Zeit sogar immer weniger –, sich dem Grauen, das in Wohnungen, Hinterhöfen, in Seitenstraßen und Waldstücken auf ihn wartete, zu entziehen. Er hielt nur selten Distanz zu den Dingen, und das bekam weder ihm noch seiner Umgebung gut, andererseits: Waren denn nicht auch Täter und Opfer bei ihrer Begegnung weniger als einen Atemhauch voneinander entfernt? Und heißt es nicht, dass ein jeder von uns nur einen Atemzug von einer Höllenexistenz entfernt ist?
    Sein letzter Fall lag gerade einmal zwei Wochen zurück, aber die Verwerfungen, die das Verbrechen in ihm aufgeworfen hatte, ließen ihn nur schwer zur Ruhe kommen.
    Martin Krawczyk, ein 58-jähriger arbeitsloser Lagerist, hatte seine siebzehnjährige Tochter, die er seit ihrer Kindheit regelmäßig und ausdauernd missbraucht hatte, umgebracht, weil das Mädchen nach Jahren des Schweigens so weit war, ihn endlich anzuzeigen. Zu einer letzten Aussprache kehrte sie, die in einer Pflegeeinrichtung der Stadt lebte, in die elterliche Wohnung zurück. In der darauffolgenden Konfrontation schwang Nina ihre anklagenden Sätze wie einen gerechten Hammer und brachte mit jedem weiteren Treffer die Mauer aus Lügen und Heuchelei zum Einsturz. Zuletzt verkündete das völlig erschöpfte, aber befreite Mädchen triumphierend, dass sie von hier aus nun direkt zur nächsten Polizeiwache fahren würde.
    Aber dazu kam es nicht.
    Als Ninas Freund vergeblich auf ihre Rückkehr wartete und sie auch nicht ans Handy ging, fuhr er zur Wohnung ihrer Eltern, und als dort niemand auf sein energisches Klingeln hin öffnete, rief er die Polizei. Daraufhin schickte man eine Streife los. Die erfahrenen Beamten sahen Gefahr im Verzug und verschafften sich gewaltsam
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