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Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Das Licht der Toten: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht der Toten: Roman (German Edition)
Autoren: Cyrus Darbandi
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selbst, mit einem wimmelnden Nest von Schlangen als Haar und ihr Blick ein Abgrund, der dich wie früher zu Stein erstarren lässt.
    Aber du tötest sie nicht. Du bist nicht deswegen zurückgekommen. Sie röchelt, krächzt, ruft nach dir, bring es zu Ende, machSchluss, sie liegt wie eine Tote auf dem Boden zwischen der schimmeligen Couch und dem gesprungenen Glastisch, ihre Hände zucken wie die offenen Enden eines Stromkabels, so als kratze sie magische Zeichen in die Luft, als verfluche sie dich. Du taumelst zurück, während unsichtbare Krallen an dir reißen.
    Dein Gegenzauber bis zur rettenden Wohnungstür ist Lydias Gesicht. Sie sieht deiner Mutter so ähnlich, aber während das rasende, tobende Ding hinter dir aus der tiefschwarzen absoluten Essenz der Nacht besteht, ist Lydia ein warmes, helles Licht, in das du dich hineinwirfst wie in ein Rettungsboot.
    Nicht, dass es reichen würde, dich von deinem Entschluss abzuhalten.
    Frieden findest du erst nach dem letzten Schritt, dem Tritt ins Leere.
    Dir fallen deine letzten Worte an Lydia ein.
    »Niemand von denen da draußen weiß, wie es wirklich war, niemand. Was wir erlebt haben.«
    Lydias flehende Stimme: »Du irrst dich. Wir haben es überwunden. Wir sind noch da.«
    Und sie legte deine Hand auf ihren Körper, auf die Höhe ihres Herzens, dessen Schlag dich schon damals beruhigte und in den Schlaf leitete. Und wie damals lagt ihr nebeneinander, so eng, dass es aussah, als krieche der eine in den Körper des anderen, in ein gegenseitiges Nest gefallener Tage.
    »Erzähl es ihnen, erzähl es meiner Familie, wenn sie fragen«, flüsterst du. »Wer soll sich an uns erinnern, wenn wir nicht mehr da sind?«
    »Bleib«, sagte Lydia, »bleib bei mir.«
    Öffne deine Augen. Es ist so weit.
    Dein langer Mantel bauscht sich auf wie ein Cape, als du dich in den Himmel wirfst. Wir sind aus Staub und Tränen gemacht, wir sind Zöglinge, Pilger, die mit dem Wind gehen; wir fallen, weil das Leben manche von uns zu Stein erstarren lässt.
    Du fällst, und alle Angst, jeder Zweifel fällt von dir ab.
    Solange du fällst, ist noch nichts geschehen.
    Es ist erst der Aufprall, der dich tötet.
    Er schlug inmitten von Müllsäcken, zerbrochenem Glas, Bauschutt, Dreck und Unkraut auf. Beim Aufprall gab es ein Geräusch, dass einer der Jugendlichen, die vor dem Gebäude herumlungerten, Abraham später wie folgt beschrieb: als hätte der Teufel einen Furz gelassen, Mann. Ein zweiter dieser Komiker bemühte sich um eine konträre Sichtweise: als hätte der liebe Gott in eine Papiertüte geblasen und dann draufgeschlagen.
    Das Ergebnis war allerdings in beiden Fällen dasselbe.
    Es war Winter, und Menschen fielen aus dem Himmel über Berlin.

KAPITEL
EINS
    Frank Abraham war Polizist in Berlin, ein großer, stiller Mann mit schweren, traurigen Augen, in denen sich ein ganzes Berufsleben widerspiegelte.
    Polizist in Berlin, Mordermittler, fünfzehn lange Jahre, und jedes einzelne hatte sich in seinen Körper und in seine Seele gegraben; fünfzehn Jahre, das macht müde, es ist diese Art von Müdigkeit, die an das Ächzen alter sterbender Männer erinnert, an ihren verzweifelten Versuch, noch einmal genug Luft für einen letzten Atemzug zusammenzubekommen.
    Hinter der Müdigkeit aber lauert, unerbittlich wartend, die Erschöpfung. Sie nimmt die Gestalt eines grauen, hohlen Mannes mit leeren ausgelöschten Gesichtszügen an, der einen zerschlissenen schäbigen Anzug trägt.
    Dieser Typ weicht dir nicht mehr von der Seite, und irgendwann kommt der Tag, an dem du in den Spiegel blickst und ihn nicht mehr an deiner Seite siehst – weil du selbst an seine Stelle getreten bist.
    Abraham war jetzt Anfang vierzig, zehn Jahre von seinen Glanzzeiten entfernt und zehn Jahre davon, das letzte Drittel zu beginnen. Die Bedeutung dieser Zahl kreiste unaufhörlich in seinem Kopf herum und beschäftigte ihn mehr und mehr – denn er war jetzt genauso alt wie sein Vater vor beinahe dreißig Jahren, als dieser in einem mörderischen Sommer drei Frauen tötete.
    Das war der längste Sommer seines Lebens gewesen.
    Nach der Aufdeckung der Morde und der anschließenden Verhaftung seines Vaters blieb seine Kindheit irgendwo zwischender Hitze der Tage und der Erschöpfung durchwachter Nächte auf der Strecke.
    Sein Vater, sein Ein und Alles hatte sich auf eine für ihn unerklärliche Weise in ein Monster verwandelt.
    Abraham wünschte sich manchmal, er könne sagen: Das ist eine alte Geschichte, ich habe mit
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