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Das Licht der Flüsse

Das Licht der Flüsse

Titel: Das Licht der Flüsse
Autoren: Aufbau
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möglich loswerden wollte. Eine der Jammergestalten kam uns zu Hilfe. Er meinte, es gäbe
     irgendwo in einer Ecke des Schleusenbeckens eine Helling und noch etwas anderes, was er nicht klar beschreiben konnte, aber
     von seinen Zuhörern hoffnungsvoll ausgelegt wurde.
    Es gab tatsächlich eine Helling in einem Winkel des Beckens, wo wir auf zwei freundlich aussehende Burschen in Rudersportanzügen
     trafen. Der Kapitän der
Arethusa
sprach die beiden an. Einer von ihnen meinte, es sei kein Problem, unsere Boote über Nacht unterzubringen, und der andere
     nahm eine Zigarette aus dem Mund und fragte, ob sie von »Searle & Son« gefertigt seien. Der Name war eine rechtgute Empfehlung. Ein halbes Dutzend anderer junger Männer kam aus dem Bootshaus, das mit den Worten ROYAL SPORT NAUTIQUE beschildert
     war, und mischte sich in die Unterhaltung ein. Sie alle waren sehr höflich, gesprächig und enthusiastisch, und ihre Reden
     waren mit englischen Rudersportbegriffen, englischen Bootsbauern und englischen Clubs gespickt. Zu meiner Schande kenne ich
     keinen Ort in meinem Heimatland, in dem ich von ebenso vielen Leuten ebenso herzlich begrüßt worden wäre. Wir waren englische
     Rudersportler, und die belgischen Rudersportler fielen uns um den Hals. Ich frage mich, ob französische Hugenotten von englischen
     Protestanten ebenso liebenswürdig begrüßt wurden, als sie aus großer Not über den Ärmelkanal flohen. Aber immerhin: Welche
     Religion vermag die Menschen so eng zusammenzuschmieden wie eine weitverbreitete Sportart?
    Die Kanus wurden ins Bootshaus getragen. Sie wurden für uns von den Club-Dienern abgespritzt, die Segel zum Trocknen aufgehängt,
     und alles wurde so ordentlich und sauber erledigt, wie man es sich nur wünschen konnte. In der Zwischenzeit wurden wir von
     unseren neugewonnenen Brüdern, denn so bezeichnete mehr als einer von ihnen unser Verhältnis, nach oben geführt, wo wir ihr
     Bad benutzen durften. Einer borgte uns Seife, ein anderer ein Handtuch, ein dritter und vierter half uns, die Taschen auszupacken.
     Und die ganze Zeit über unzählige Fragen, Respektbezeugungen und ein unglaubliches Mitgefühl! Ich muss gestehen, dass ich
     vorher keine Ahnung hatte, was Ruhm bedeutet.
    »Ja, ja, der ›Royal Sport Nautique‹ ist der älteste Club in Belgien.«
    »Wir haben zweihundert Mitglieder.«
    »Wir« – das ist keine direkte Wiedergabe, sondern steht stellvertretend für all die Aussagen, die nach langen Gesprächen diesen
     Eindruck bei mir hinterlassen haben, und es wirkt auf mich jugendlich, freundlich, natürlich und patriotisch: »Wir haben alle
     Rennen gewonnen außer jenen, bei denen wir von den Franzosen betrogen wurden.«
    »Ihr müsst alle eure nassen Sachen zum Trocknen hierlassen.«
    »Oh!
Entre frères
! In jedem Bootshaus in England würden wir genauso behandelt.« (Ich hoffe von Herzen, dass es so wäre.)
    »
En Angleterre, vous employez des sliding-seats, n’est-ce pas?
«
    »Tagsüber arbeiten wir alle in Handelsfirmen, aber am Abend:
Voyez-vous, nous sommes sérieux

    Dies waren die Worte. Tagsüber waren alle mit den frivolen Handelsgeschäften Belgiens beschäftigt, doch am Abend fanden sie
     ein paar Stunden Zeit für die ernsten Dinge des Lebens. Womöglich habe ich eine falsche Vorstellung von Weisheit, aber ich
     halte das für eine überaus weise Bemerkung. Gewisse Literaten und Philosophen versuchen ihr Leben lang, überkommene Meinungen
     und falsche Maßstäbe loszuwerden. Es ist ihr Beruf, im Schweiße ihres Angesichts durch verbissenes Nachdenken ihre alten unverbrauchten
     Lebensansichten zurückzugewinnen und das, was sie wirklich und ursprünglich schätzen, von dem zu unterscheiden, was ihnen
     gewaltsam beigebracht wurde zu tolerieren. Und diese königlichen Rudersportler trugen den Unterschied recht deutlich lesbar
     in ihren Herzen. Sie hatten immer nochklare Vorstellungen von dem, was hübsch und was hässlich, was interessant und was langweilig ist, Vorstellungen, die neidische
     alte Herren gern als Illusionen bezeichnen. Die Alptraumillusion des mittleren Alters – die bärenhafte Umarmung der Gewohnheit,
     die allmählich das Leben aus der Seele eines Mannes quetscht – hatte für diese glückssternbeschienenen jungen Belgier noch
     nicht begonnen. Sie wussten noch, dass ihr Einsatz für ihre Geschäfte im Vergleich zu ihrer spontanen, langgehegten Liebe
     für den Rudersport eine banale Angelegenheit war. Seine eigenen Vorlieben zu
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