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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem
Autoren: Pohl Clarke
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inne, um einen kunstvoll verzierten Toreingang zu bestaunen. Ranjit schüttelte tadelnd den Kopf, während er mit dem Finger einen Riss nachzog, der die eingemeißelten Lotus-Motive verunstaltete. Plötzlich wurde das von oben einfallende Sonnenlicht ausgesperrt.
    Als Ranjit den Kopf hob, sah er, dass genau über ihnen ein gigantischer Schatten dahinglitt.
    »Ein Walhai!«, rief er so laut durch sein Aquaphon, dass seine Stimme verzerrt klang wie die des alten Mönchs, wenn der sich mittels seines Kehlkopfmikrofons zu verständigen versuchte. »Komm, Myra, wir wollen uns mit ihm anfreunden!«
    Myra lächelte und nickte. In den Gewässern um Trincomalee waren sie diesen riesigen, aber völlig harmlosen Planktonfressern
schon häufig begegnet. Manche wurden bis zu zwanzig Meter lang und glichen dann großen Booten, die von einem Schwarm Schiffshaltern begleitet wurden. Ein paar dieser Fische aus diesem Gefolge klammerten sich mit ihren Saugscheiben an dem Walhai fest, während andere hoffnungsvoll vor dem großen Maul herumschwammen und nur darauf lauerten, dass ein paar Krümel von den Festgelagen für sie abfielen.
    Ranjit pumpte Luft in seinen *Auftriebsausgleich und stieg langsam an der Sicherheitsleine nach oben. Er rechnete fest damit, dass Myra ihm genauso gemächlich folgen würde und erschrak, als er auf einmal ihre Stimme hörte. Myra klang beherrscht, aber ihr war deutlich anzumerken, dass sie unter Stress stand. »Etwas stimmt nicht mit meinem Aufblasteil«, keuchte sie. »Bin gleich bei dir.« Als Nächstes erfolgte ein heftiges Zischen von Luft, als sich ihr Auftriebsbeutel unkontrolliert füllte. Ranjit wurde zur Seite gestoßen, als Myra jählings Richtung Wasseroberfläche schoss.
    In solchen Augenblicken konnte selbst der erfahrenste Taucher in Panik geraten. Myra beging einen fatalen Fehler, indem sie versuchte, die Luft anzuhalten.
    Als Ranjit zu ihr auf das Floß kletterte, kam jede Rettung bereits zu spät. Aus Myras Mund tröpfelte Blut, und er war sich nicht sicher, ob er ihre letzten geflüsterten Worte richtig verstanden hatte.
    In Gedanken ging er sie immer und immer wieder durch, bis er auf dem Schwimmer des Rettungshubschraubers stand. Der Notarzt konnte ihm nur noch bestätigen, was er selbst längst wusste.
    Und in diesem Moment war Ranjit sich sicher, dass er sich nicht verhört hatte. Unmittelbar vor ihrem Tod hatte Myra ihm zugeraunt: »Wir sehen uns in der nächsten Welt.« Er beugte sich vor und küsste ihre eiskalte Stirn.
    Zu dem Hubschrauberpiloten sagte er: »Lassen Sie mich bitte Ihr Telefon benutzen. Ich muss sofort mit Dr. Ada Labrooy sprechen.«

48
Der Geist in der Maschine
    Wenn es einen Patienten gab, für den Dr. Ada Labrooy Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt hätte, dann war es ihre geliebte Tante Myra. Doch auf sich allein gestellt, konnte sie nicht allzu viel bewirken. Zum Glück befanden sich die Geräte der Aliens, die sie für ihre Arbeit benötigte, ganz in der Nähe. Sie standen bereit, um den alten Surash in sein abstraktes Selbst zu verwandeln, das in den Maschinen weiterleben würde. Nur hatte man die einzelnen Teile noch nicht zusammengesetzt. Einige stapelten sich im Korridor vor Surashs Krankenhauszimmer, etliche lagen auf Pritschen im Hof, und ein paar hatte man noch gar nicht von den LKWs abgeladen, die diese Apparaturen vom Skyhook hergebracht hatten. Die Montage all dieser Komponenten nahm viel Zeit in Anspruch.
    Und währenddessen würde gnadenlos der Zerfallsprozess einsetzen, der - wenn man ihn nicht verlangsamte - Myras Körper für eine Umwandlung unbrauchbar machte.
    Also mussten sie Zeit herausschinden. Und um die Verwesung aufzuhalten, gab es nur eine Möglichkeit. Nachdem Ranjit sich mit Gewalt Einlass in das Zimmer verschafft hatte, in dem sich die sterblichen Überreste seiner Frau befanden, verstand er, warum man versucht hatte, ihm den Zutritt zu verwehren. Myra lag nicht in einem Krankenhausbett. Um den Verfall der Zellen hinauszuzögern, hatte man sie in einen Tank voller Wasser gebettet, auf dessen Oberfläche halb geschmolzene Eiswürfel schwammen. An Myra wurde jedoch emsig gearbeitet, um sie auf den Übergang in ein Computerprogramm
vorzubereiten. Ihr Blut wurde aus dem Körper herausgepumpt, und die leeren Adern mit irgendeiner Kühlflüssigkeit gefüllt.
    Plötzlich hörte Ranjit, wie jemand hinter ihm seinen Namen aussprach.
    Er drehte sich um; seine Miene verriet, wie sehr ihn die Szene in diesem Raum mitnahm. Das Entsetzen
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