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Das letzte Theorem

Das letzte Theorem

Titel: Das letzte Theorem
Autoren: Pohl Clarke
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mathematische Forschung über dieses Problem zum Stillstand gebracht. Er gab bekannt, der berühmte Lehrsatz des Pythagoras, die entzückende, so einprägsame kleine Gleichung, träfe ausschließlich für die zweite Potenz zu, aber für keine weitere. Dessen sei er sich absolut sicher.
    Heutzutage würden die meisten Mathematiker diese Feststellung in irgendeinem mathematischen Journal veröffentlichen. Fermat war jedoch in mehr als einer Hinsicht ein komischer Kauz, und es entsprach nicht seinem Stil. Stattdessen krakelte er lieber eine Bemerkung in sein Exemplar von Diophants Arithmetica . Er behauptet, für die Tatsache, dass der Satz des Pythagoras ausnahmslos für die zweite Potenz gälte, einen »wahrhaft wunderbaren« Beweis gefunden zu haben, für den aber »auf dem Rand nicht genug Platz« sei.

    Was diese lässige Notiz so bedeutsam machte, war das magische Wort »Beweis«.
    Ein Beweis ist für jeden Mathematiker starker Tobak. Die Forderung nach einem Beweis - das heißt einer logischen Demonstration, dass eine bestimmte Behauptung immer und zwingend zutrifft - unterscheidet die Mathematiker von den meisten Naturwissenschaftlern. Physiker zum Beispiel haben es ziemlich leicht. Wenn ein Physiker zehn-oder meinetwegen hundertmal einen Schwarm Protonen mit hoher Geschwindigkeit auf eine Aluminiumfolie aufprallen lässt, und dauernd ergibt sich als Folge dieses Beschusses die gleiche Mischung aus irgendwelchen Partikeln, dann darf er mit Recht annehmen, dass ein anderer Test, vorgenommen von einem anderen Physiker, zu demselben Ergebnis führt.
    Der Mathematiker hingegen kann sich diese simplen Schlussfolgerungen nicht leisten. Seine Theoreme sind statistisch nicht messbar und nicht erfassbar. Sie müssen bindend sein, unabänderlich. Kein Mathematiker kann sagen, dass irgendeine mathematische Feststellung »richtig« ist, bis er mit einwandfreier, nicht den Schatten eines Zweifels zulassender Logik den Beweis konstruiert hat, der zeigt, dass diese Aussage stets und ständig zutrifft - vielleicht, indem er beweist, dass eine Abweichung unweigerlich einen absurden Widerspruch zur Folge hätte.
    Nach dem Auffinden dieser enigmatischen Randnotiz fing die Suche also erst richtig an. Nun jedoch forschten die Mathematiker nach dem Beweis, den Fermat angeblich gefunden hatte. Viele der größten Mathematiker - Euler, Goldbach, Dirichlet, Sophie Germain - gaben ihr Bestes, um diesen nebulösen Beweis zu entdecken. Hunderte von weniger bekannten Leuten folgten ihrem Beispiel.
    Von Zeit zu Zeit vollführte einer dieser von Fermat Besessenen einen Luftsprung und verkündete jubelnd, er habe die Lösung gefunden. Solche scheinbaren Beweise tauchten hundertfach auf; allein zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren es eintausend in einem Zeitraum von nur vier Jahren.

    Doch sie wurden samt und sonders von anderen Mathematikern zunichtegemacht, die herausfanden, dass die Urheber dieser vermeintlichen Beweise entweder bezüglich der Fakten oder der Logik grundlegende Fehler begangen hatten. Allmählich kam es der mathematischen Welt so vor, als hätte der große Fermat selbst sich geirrt, und dass man niemals den Beweis für den Wahrheitsgehalt seines müßigen Gekritzels finden würde.
    Doch diese Mutmaßung erwies sich als falsch.
     
    Ende des 20. Jahrhunderts entdeckte man den endgültigen Beweis für die Richtigkeit von Fermats Theorem. Zwischen 1993 und 1995 veröffentlichte der britische Mathematiker Andrew Wiles, der an der Princeton University in den USA lehrte, einen definitiven, vollständigen und fehlerfreien Beweis für Fermats dreihundertfünfzig Jahre alte Vermutung. Damit war das Problem gelöst.
    Trotzdem stellte diese Publikation kaum jemanden zufrieden. Erstens war Wiles’ Beweis unglaublich lang - einhundertundfünfzig eng beschriebene Seiten. Aber es kam noch schlimmer: Einige Passagen waren so kompliziert, dass man sein Leben lang Mathematik studiert haben musste, um sie überhaupt verstehen zu können. Das heißt, nur ein elitärer Kreis von Spezialisten sah sich überhaupt in der Lage zu beurteilen, ob dieser monströse Beweis einwandfrei war oder nicht.
    Lediglich ein Computerprogramm vermochte das herauszufinden. Und das Unbefriedigendste an der ganzen Sache war, dass Wiles’ Beweis auf gar keinen Fall der sein konnte, den Fermat angeblich gefunden hatte, denn er fußte auf Vorgehensweisen und mathematischen Belegen, die weder Fermat noch jemand anderes aus dieser Zeit gekannt haben konnten. Deshalb
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