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Das Letzte Protokoll

Das Letzte Protokoll

Titel: Das Letzte Protokoll
Autoren: Chuck Palahniuk
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sie am Ende jedoch immer und immer wieder ankommt. Und dann hört sie die Sirenen, gedehnt und weit weg. Und die Pol i zistin sagt: »Ich seh gleich noch mal bei Ihnen vorbei.« Sie geht hinaus und verschließt die Tür.
    Hoch oben in der Wand ist ein Fenster, zu hoch, als dass Misty herankäme, aber es blickt mit Sicherheit auf den Ozean, auf W a ytansea Island.
    Im flackernden orangeroten Licht hinter dem Fenster, im ta n zenden Hell und Dunkel auf der Betonwand gegenüber dem Fenster, in diesem Licht weiß Misty plötzlich alles, was Maura gewusst hat. Alles, was Constance g e wusst hat. Misty weiß, dass sie alle reingelegt worden sind. Genau wie sie wusste, wie sie ihre Bilder zu malen hatte. Wie Platon sagt, wir wissen schon alles, wir müssen uns bloß daran erinnern. Was Carl Gustav Jung das universale B e wusstsein nennt. Misty erinnert sich.
    So wie die Camera obscura ein Abbild auf eine Lei n wand wirft, so wie die Lochkamera funktioniert, projiziert das kleine Zelle n fenster ein umrissenes Durcheinander von Rot und Gelb, von Flammen und Schatten auf die Wand gegenüber. Man hört nur die Sirenen, man sieht nur das Flackern.
    Das Hotel Waytansea steht in Flammen. Grace und Harrow und Tabbi sind da drin.
    Kriegst du das mit?
    Wir waren hier. Wir sind hier. Wir werden immer hier sein.
    Und wieder haben wir versagt.

3. September
Viertelmond
    Draußen auf der Landspitze von Waytansea Island parkt Misty das Auto. Tabbi sitzt neben ihr, in jedem Arm eine Urne. Ihre Großeltern. Deine Eltern. Grace und Harrow.
    Misty, die neben ihrer Tochter auf dem Fahrersitz des alten Buick sitzt, legt Tabbi eine Hand aufs Knie und sagt: »Schatz?«
    Und Tabbi dreht sich zu ihrer Mutter um.
    Misty sagt: »Ich habe beschlossen, offiziell unsere Namen ä n dern zu lassen.« Misty sagt: »Tabbi, ich muss den Le u ten sagen, was da wirklich geschehen ist.« Sie drückt Ta b bis dünnes Knie, die we i ßen Strümpfe rutschen ihr über die Kniescheibe, und sagt: »Wir können zu deiner Oma in Tecumseh Lake ziehen.«
    Tatsächlich könnten sie jetzt überall hingehen. Sie sind wieder reich. Grace und Harrow und die anderen alten Inselleute, sie alle haben Millionen hinterlassen. Von L e bensversicherungen. Abermillionen, steuerfrei und sicher auf der Bank. Von den Zi n sen können sie noch achtzig Jahre lang in aller Ruhe leben.
    Detective Stiltons Suchhund hat zwei Tage nach dem Brand den Berg verkohlten Holzes durchwühlt. Von den ersten drei Stoc k werken des Hotels sind nur noch die nackten Steinmauern übrig. Der Beton von der Hitze in grünblaues Glas verwandelt. Was der Hund erschnüffelte, Gewürznelken oder Kaffee, führte die Retter zu Stilton, der tot im Keller unter dem Foyer lag. Der Hund, ein zi t terndes, pinkelndes Wrack, heißt Rusty.
    Die Bilder werden weltweit verbreitet. Die auf der Straße vorm Hotel ausgebreiteten Leichen. Die verkohlten Kö r per, schwarz und verkrustet, aufgeplatzt, sodass das g e bratene Fleisch darin zu sehen ist, feucht und rot. Und in jeder Einstellung ein Firme n logo.
    Jede Sekunde des Videomaterials zeigt die schwarzen Skelette auf dem Parkplatz. Bis jetzt insgesamt 132, und darüber, über i h nen, irgendwo sieht man immer einen Firmennamen. Einen Werbeslogan oder ein lächelndes Maskottchen. Einen grinsenden Tiger. Einen schwamm i gen, optimistischen Spruch.
    »Bonner & Mills - Wenn Sie nie mehr von vorn anfangen wo l len.«
    »Mewtworx - Wo Fortschritt nicht Stillstand bedeutet.«
    Und was man nicht versteht, kann man deuten, wie man will.
    Ein mit Werbung beschriftetes Inselauto parkt in jedem Bild der Fernsehnachrichten. Papierfetzen, Tassen oder Servietten: Übe r all steht ein Firmenname drauf. Man sieht eine Reklametafel. I n selbewohner, Werbeträger mit A n steckern oder TShirts, geben Fer n sehinterviews vor den verkrümmten, qualmenden Leichen. Die Finanzdienstleister und Privatfernsehsender und Pharm a konzerne zahlen jetzt hohe Beträge, um all diese Werbung z u rückzukaufen. Um ihren Namen von der Insel ausz u radieren.
    Rechnet man dieses Geld zu dem von den Versicherungen hi n zu, ist die Insel reicher als je zuvor.
    Im Buick sieht Tabbi ihre Mutter an. Sie sieht die beiden U r nen an, die sie in den Armbeugen hält. Ihr Zygomaticus major zieht ihr die Mundwinkel bis zu den Ohren. Tabbis Wangen schwellen auf und heben ihre unteren Augenl i der ein klein wenig an. Mit der Asche von Grace und Harrow in den Armen ist sie ihre eig e ne kleine Mona Lisa. Lächelnd und sehr
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