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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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weniger. Auch das behielt er natürlich lieber
für sich, gerade Ann-Britt gegenüber, die in letzter Zeit oft das Thema Kinder
zur Sprache brachte. Ein bisschen zu oft für seinen Geschmack.
    Sie drückten ein zweites Mal auf die Klingel, wieder ertönte das
schrille Schellen, das man eigentlich nur überhören konnte, wenn man komplett
taub oder schon tot war. Rosenmair ließ sich Zeit. Dann öffnete er mit einem
schwungvollen Ruck die Tür und lächelte. Zwar sparsam, aber freundlich. Im
Hintergrund stand Becker, der seine Sachen gleich zusammengerafft hatte und
sich nach kurzem Gruß schnell verabschiedete. Rosenmair rief ihm noch ein
halbherziges »Jederzeit, Herr Becker!« hinterher. Dann trat er zur Seite und
ließ seinen Besuch ein.
    Ann-Britt deutete mit dem Kopf auf den davoneilenden Becker. »Und
das war jetzt also dein Nachbar? Nett, doch. Kommt der öfter mal vorbei?«
    Rosenmair ließ laut hörbar Luft entweichen. »Nicht selten genug,
wenn’s nach mir geht … Aber er wollte ein paar Amerika-Tipps, er will da
demnächst Urlaub machen.« Mehr an sich selbst gerichtet fügte er hinzu: »Weiß
der Teufel, warum.«
    Philipp Lindner sah sich sogleich bemüßigt, sich in die Konversation
einzuschalten. »Aber die USA sind doch ein
wirklich spannendes Land. Ich war vor ein paar Jahren mal zu einem
Austauschpraktikum da, drei Monate in Washington, in einem
deutsch-amerikanischen Thinktank der Konrad-Adenauer-Stiftung …«
    Als der Ausdruck Thinktankfiel, zeigte
sich in Rosenmairs Blick ein seltsames Flackern, nur für einen Moment. Dann
lächelte er seinen Schwiegersohn entwaffnend offen an, als müsste er über
dessen Worte erst noch nachdenken. Ann-Britt sah warnend auf ihren Vater, doch
der begegnete ihrem Blick mit aller gebotenen Unschuld und meinte im
Plauderton: »Und worüber denkt man denn nach in so einem …«, er sprach das
letzte Wort bewusst deutsch aus, »in so einem Tank?«
    Lindner sah ihn etwas verwirrt an. Konnte es sein, dass sein
Schwiegervater nicht wusste, was ein Thinktankwar?
Nein, viel wahrscheinlicher war, dass er ein Spielchen mit ihm spielte, wie ihm
Ann-Britt schon angekündigt hatte. Schon bei ihren seltenen bisherigen Treffen
hatte er gemerkt, dass Ironie anscheinend der Standardmodus war, in dem Max
Rosenmair funktionierte. Für Philipp Lindner war diese Sorte Mensch schwer
einzuschätzen und ihm deshalb auch immer ein bisschen suspekt. Und sei es nur,
weil ständig Gefahr bestand, in intellektuelle Fallen zu tappen und als Depp,
Ignorant, Besserwisser oder alles zusammen dazustehen. Das widersprach seinem
Selbstverständnis als Politiker, denn im Zweifelsfall war natürlich er es, der
über allem und allen stand. Er war Rosenmair bislang bei einem zähen Abendessen
bei Ann-Britt in der Eifel und bei wenigen anderen Gelegenheiten in Düsseldorf
begegnet. Da hatte er zum Glück immer irgendwelche wichtigen Termine
vorschieben und sich recht schnell verabschieden können. Ein Verhalten, das
Rosenmair ganz offenbar weder Verdruss noch auch nur ansatzweise Bedauern
bereitete, was Lindner dann doch wieder ein bisschen ärgerte.
    Doch bevor die Kabbelei richtig losgehen konnte, schaltete Ann-Britt
sich ein, reichte ihrem Vater eine Flasche Rotwein und schob die beiden weiter
durch die Diele. »Das könnte übrigens der Wein für die Hochzeit werden, du
kennst dich doch damit aus, da haben wir gedacht, wir bringen einfach mal was
mit«, erklärte sie. Mit einem resoluten »So, jetzt zeigst du uns erst mal dein
neues Heim« öffnete sie auch schon die Tür zum Wohnzimmer.
    Rosenmair seufzte, grummelte etwas von »Nur ein Tankwart denkt im
Tank« in seinen nicht vorhandenen Bart und ging voran zur unvermeidlichen
Hausbesichtigung.
    Später saß man in der Küche. Ann-Britt hatte Kuchen und Sahne
mitgebracht: Aprikosen- und Apfelkuchen, der von einer Art Gitter aus Teig
bedeckt war, das entfernt an Leitern erinnerte, weshalb das Gebäck im
niederrheinischen Volksmund »Lätterkes Taat« genannt wurde, auf Hochdeutsch
»Leiterchen Torte«. Rosenmair hatte die Einheimischen schon öfter eine
entsprechende Bestellung beim Bäcker abgeben hören, das Ganze aber für eine Art
Geheimsprache zwischen der hiesigen Bäckereifachverkäuferin und den Stammkunden
gehalten. Ann-Britt dagegen hatte sich natürlich angeregt mit der Verkäuferin
unterhalten und wusste nun um alle regionalen Besonderheiten. Überhaupt war sie
schwer begeistert von einem Café, das in Elmpt, einem Nachbarort von
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