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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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seiner Tür. Er stieg aus der Wanne und tastete
nach dem Lichtschalter, fand ihn aber nicht. Erwartungsvoll öffnete er die Tür – und traute seinen Augen nicht.
    ***
    Rosenmair sah missmutig aus dem Fenster. Das gestern am Telefon
war seine Tochter gewesen, die heute »zufällig« mit ihrem Zukünftigen
beziehungsweise eigentlich ja schon Jetzigen in der Gegend war und »nur mal
kurz« bei ihm vorbeischauen wollte. Er hätte natürlich sagen können, er habe
keine Zeit, müsse ganz dringend weg, sei anderweitig verabredet. Normalerweise
hätte er das auch gemacht, aber der Besuch war seine Chance, etwas mehr über
diese unsägliche Hochzeit zu erfahren. So konnte er mal vorsichtig vorfühlen,
ob er da wirklich würde auftauchen müssen.
    Er hatte sich schon gefragt, ob er sich nicht mit den beiden darauf
einigen könnte, einfach einen Teil der Kosten zu übernehmen und ihnen dafür aus
der Ferne zu gratulieren. Aber das war wohl nur ein frommer Wunsch.
    Rosenmair stand auf und holte den Kaffeefilter aus Porzellan heraus;
auch so etwas, wofür er Marlenes Tante Hedwig noch im Nachhinein liebte. Die
hatte von jeglicher Art von Kaffeemaschine nämlich überhaupt nichts gehalten
und würde sich im Grab umdrehen, wenn sie von diesen neumodischen und
mittlerweile in jedem Haushalt vorhandenen »Kaffeevollautomaten« wüsste, die
auf Knopfdruck Kaffee, Cappuccino und Latte macchiato zubereiteten und im
Zweifelsfall wahrscheinlich auch noch die Steuererklärung machten. Tante Hedwig
hatte den Kaffee am liebsten von Hand aufgegossen, mit heißem Wasser aus dem
verbeulten Kessel direkt in ihren Porzellanfilter auf einer ebensolchen
Kaffeekanne, aus praktischen Gründen höchstens mal in eine Thermosvariante. Nur
den Kessel hatte Rosenmair durch einen elektrischen Wasserkocher ersetzt, schon
aus Energiespargründen.
    Er erinnerte sich an ein Café in Blankenese, zu dem man sein eigenes
Kaffeepulver mitnehmen konnte, das dann für einen höchstpersönlich frisch
aufgebrüht wurde. Ob es das noch gab? Er hoffte es. Das müsste er unbedingt
herausfinden – und eigentlich längst auch mal wieder nach Hamburg fahren. Seit
seinen Recherchen im Fall der ermordeten Nordic Walker war er nicht mehr in der
Stadt seiner Kindheit und Jugend gewesen. Eine Schande, wirklich.
    Die Türklingel ging. Rosenmair stellte die verbeulte Kaffeedose ab und
ging dann langsam, fast gemächlich, in Richtung Tür. Unangenehme Dinge sollte
man gleich hinter sich bringen, aber eben auch in aller Ruhe und nicht zu
flott. Er räusperte sich innerlich wie äußerlich und öffnete die Tür. Da stand – sein Nachbar.
    Man konnte es nicht anders sagen: Rosenmair hatte sich selten so
gefreut, Becker vor seiner Tür stehen zu sehen. Mit einer für ihn gänzlich
ungewöhnlichen Herzlichkeit winkte er ihn ins Haus, doch Becker blieb zögernd
stehen, irgendwie unentschlossen.
    Mit Kriminalhauptkommissar Hans-Harald Becker verband Rosenmair ein
distanziertes, aber sympathisierendes Nebeneinander. Sein Nachbar lieh sich
gern diverse Gartengeräte bei ihm aus, fragte auch jedes Mal artig, obwohl ihm
Rosenmair schon öfter angeboten hatte, er könne sich die entsprechenden Teile
einfach aus dem Schuppen nehmen (und ihn nicht immer wieder nerven, wie er in
Gedanken gern hinzufügte). Eher selten kam der allein lebende Witwer auch mal
zum Essen rüber und begeisterte sich dann jedes Mal für Rosenmairs Kochkünste
und Weinauswahl. Von der anderen Nachbarin, Frau Theuerzeit, genannt »die
Zarin«, deren Garten zum Teil an Rosenmairs Grundstück angrenzte, hielten beide
sich lieber fern. Das ergab sich oft automatisch, da die ältere Dame ihre Rasenmäh-
oder Rosenschneidezeiten gern nach dem Mondkalender oder anderen esoterischen
Gesetzmäßigkeiten verrichtete und daher nicht selten morgens um drei mit
Sichel, Harke oder Motorsense im Garten zu sehen – und zu hören – war.
Ansonsten ließ man sich gegenseitig in Ruhe, was dem Richter so auch am
liebsten war.
    Becker hatte einen zusammengerollten Zettel in der Hand, auf den
Rosenmair, als er ihn bemerkte, einen neugierigen Blick warf. Der Kommissar
trat einen Schritt vor, kam aber noch immer nicht zur Sache. Rosenmair
verschränkte die Arme vor der Brust und nickte ihm zu. Dann holte er tief Luft
und wartete. Becker sah ihn an, erwartungsvoll. Rosenmair lächelte und sagte
nichts.
    Jetzt hielt es Becker nicht mehr aus. »Ja?«
    »Ja, was?«
    »Na, wollten Sie nicht gerade was sagen? Sie wirkten so …«
    »Wie ich
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