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Das letzte Hemd

Das letzte Hemd

Titel: Das letzte Hemd
Autoren: Kirsten Puettjer , Volker Bleeck
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Arm nehmen
wollte, doch ihm war ganz und gar nicht nach Scherzen zumute.
    »Nicht ich heirate, sondern meine Tochter. Wie kommst du überhaupt
darauf, dass ich einfach so heiraten würde?«
    Wieder dieses Kichern, dann ein Räuspern. Marlene blieb ernst, noch.
    »Och, schade, ich hatte mich schon auf deinen Hochzeitswalzer
gefreut … Okay, Spaß beiseite. Wann heiratet Ann-Britt denn?«
    »Was weiß denn ich, die Einladung war schon so furchtbar, da hab ich
mir das Datum nicht merken wollen. Mitte April, glaube ich. Ich hoffe sehr,
dass du dann im Lande bist. Oder hast du wieder mal ein wichtiges
Mauritius-Meeting oder eine Tagung auf Trinidad?« Rosenmair taten sein
schlechter Witz und der gereizte Ton, den er angeschlagen hatte, gleich wieder
leid, schließlich wollte er ja, dass Marlene mitkam zur Hochzeit. Ach was,
wollte – sie musste mitkommen!
    Doch Marlene hatte gerade keine Lust mehr auf seine Launen. »Max,
das kann ich dir erst morgen sagen, ich hab meinen Terminkalender nicht dabei.
Ich muss jetzt auch wieder zu den anderen. Ich melde mich, tschü-tschü.«
    Rosenmair seufzte. Marlene wusste immer, wie sie ihn treffen konnte.
Nicht nur dadurch, dass sie sich mit »tschü-tschü« verabschiedete, obwohl er
das so hasste. Nein, jetzt musste er erst wieder warten, bis sie sich meldete.
Terminkalender nicht dabei – pah! Seit Marlene eines dieser so angesagten
Smartphones benutzte, war sie immer und überall erreichbar, auch per Mail, und
sie hatte nicht nur ihre gesamte Termin- und Adressverwaltung auf diesem
kleinen Ding, sondern konnte aus der Ferne wahrscheinlich auch ihren Herd
einschalten, die Sitzheizung ihres Dienstwagens regulieren und bestimmt auch
noch die Temperatur ihres Badewassers einstellen. Und irgendwo tief in den
Schaltkreisen dieses Dings – nannte man das überhaupt noch so, Schaltkreise? –
verbargen sich außerdem und nur mal eben nebenbei die Gesamtwerke der Beatles
und von William Shakespeare. Letzteres hatte Rosenmair einmal schmerzlich am
eigenen Leib erfahren müssen, als er während eines nicht ganz ernst gemeinten
Disputs mit Marlene behauptet hatte, Macbeth habe mehr Text zu sprechen als
Hamlet. Natürlich hatte er es nicht wirklich gewusst und ärgerte sich maßlos,
dass er sich ihrem »Telefon« hatte geschlagen geben müssen. Marlene war
schneller in ihrem elektronischen Nachschlagewerk gewesen als Rosenmair in der
fraglos imposanten Shakespeare-Ecke seiner nicht weniger imposanten Bibliothek.
Tatsächlich hatte Hamlet mehr als doppelt so viel Text zu sprechen wie der
Schottenkönig.
    Ein Smartphone kam für Rosenmair aber trotzdem nicht in Frage. Er
musste sich ja noch immer an sein sehr simples Mobiltelefon gewöhnen, das nicht
einmal über eine Kamerafunktion und als einzige technische Besonderheit über
eine eingebaute Taschenlampe verfügte. Irgendwann hatte er den Klingelton
wechseln wollen, seitdem piepste das Ding in enervierender Lautstärke »Auf in
den Kampf, Torero« aus der Oper »Carmen« von Georges Bizet. Das allein wäre ja
nicht so schlimm, aber Rosenmair musste jedes Mal, wenn er diese Melodie hörte,
unweigerlich an einen alten Richterkollegen denken, der den Text immer in den
Kalauer »Auf in den Kampf, die Schwiegermutter naht« umgewandelt und sich dabei
köstlich amüsiert hatte. Keine Frage, er und Rosenmair waren humortechnisch
nicht wirklich auf einer Wellenlänge. Und jetzt piepste der Torero schon wieder
los. Er musste unbedingt rauskriegen, wie er diesen Ton ändern konnte.
    ***
    Die junge Frau fummelte den Autoschlüssel aus ihrer Manteltasche
und ging suchend durch die Hoteltiefgarage. Irgendwo hier unten hatte sie das
Auto doch abgestellt. Sie ärgerte sich nicht, dass sie nicht gleich daraufkam,
wo der Wagen stand, das passierte ihr fast jedes Mal, wenn sie mit seinem Auto
in dieser Tiefgarage parkte. Es nervte sie ein bisschen, dass sie jetzt noch
einmal losfahren musste, aber irgendwie hatte sie ja auch selbst Schuld.
Schließlich ließ sie sich auf alles ein, was er wollte. Und er wusste genau,
wie er sie rumkriegen konnte. Dann fuhr man halt auch mal am Abend dreißig
Kilometer durch die Gegend, hin und auch wieder zurück, um dem erschöpften Herrn
seine ach so wichtige Aktentasche zu bringen. Sie wusste genau, wo er sie
stehen gelassen hatte, in welchem Zimmer ihrer kleinen Wohnung, die er ihr
besorgt hatte. Natürlich, denn so hatte er Kontrolle über sie und Macht,
irgendwie auch Macht. Er hatte die Wohnung organisiert, zahlte
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