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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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besinnt sich und schüttelt den Kopf. »Ich habe gehofft, du könntest mir sagen, was geschehen ist.«
    »Nein.«
    »Du hast einen schweren Schock erlitten, verursacht durch deinen Sturz und die Verletzungen an deinem Kopf. Oder durch etwas anderes …«
    »Du denkst, ich verdränge etwas.«
    »Etwas Schreckliches. Etwas, das du getan hast.«
    »Aber was?«
    Wie ein Blitz taucht plötzlich ein Bild vor mir auf: Ich sehe mich selbst im Schnee liegen, der von meinem Blut getränkt ist. Ich habe das Gefühl, über meinem Körper zu schweben. Schnee rieselt auf mich herab und legt sich wie ein weißes Leichentuch auf meine geschlossenen Lider und meine zu einem stummen Schrei geöffneten Lippen. Meine langen dunklen Haare bilden einen Fächer wie aus Pfauenfedern um meinen Kopf, aus dem das Blut in den frisch gefallenen Schnee sickert.
    Blut und Schnee.
    Und ein Schlüssel, den ich in meiner Hand halte.
    »Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?«, fragt Gil.
    Soll ich mich ihm anvertrauen? Ich kenne ihn doch nicht. Und ich misstraue ihm. Er hat versucht, mich zu töten – lebendig zu begraben. Aber er hat mich auch ins Bett gebracht und meine Wunden versorgt. Das behauptet er!, ermahnt mich eine leise Stimme, das behauptet er! Woher weißt du, dass er dir die Verletzungen nicht beigebracht hat, als er dir den Schlüssel entreißen wollte? Woher weißt du, dass er dich nicht gestoßen hat, sodass du gestürzt bist? Ich weiß nicht, ob das, was er sagt, auch nur einen Funken Wahrheit enthält. Ich darf ihm nicht trauen, wenn ich überleben will. Ich darf nicht!
    »Es war ein grauenhafter Schmerz. Und das Gefühl, zu sterben.«
    Er hält den Atem an. »Und davor?«
    »Nichts.«
    Er atmet tief durch. »Dann weißt du nicht, wo wir sind? Und wieso?«
    Ich schüttele den Kopf. »Könntest du bitte die Fensterläden öffnen? Es ist so dunkel.«
    Und ich fürchte mich im Dunkeln, füge ich im Stillen hinzu. Ich habe Angst vor Bedrohungen, die ich nicht sehen kann.
    Gil erhebt sich, geht zum Fenster am Fußende meines Bettes und klappt die Innenläden zurück. Graublaues Licht fällt ins Zimmer. Durch das bleigefasste Mosaik der Scheiben, auf denen Eisblumen blühen, kann ich schemenhaft einen dunkelgrauen Himmel erkennen. Es schneit in dicken Flocken.
    Fröstelnd schmiege ich mich ins warme Bett.
    Gil setzt sich wieder zu mir. Wie selbstverständlich legt er seine Hand auf mein Bein. »Sagt dir das Wort Mandylion etwas?«
    Verwirrt schüttele ich den Kopf.
    Er zieht einen zerknüllten Zettel aus seiner Jacke, faltet ihn auseinander und zeigt ihn mir. Er ist so oft zusammen- und wieder auseinandergefaltet worden, dass er an den Kanten schon brüchig wird und Risse aufweist. Eine Seite ist mit Blut getränkt, das sich beim Trocknen schwarz verfärbt hat. In griechischen Lettern steht dort:
    Μανδηλιον
    »Mandylion«, lese ich. »Was ist das?«
    »Weißt du, was ein Acheiropoieton ist?« Gil dreht den Zettel um. Dort steht:
    Αχειροποιητον
    »Das ist Griechisch. Ein Acheiropoieton ist ein nicht von Menschenhand gemachtes Bild.«
    Er nickt.
    »Wer hat das geschrieben?«
    »Du.«
    Gil faltet den Zettel zusammen und will ihn wieder einstecken, doch ich lege ihm die Hand auf den Arm.
    »Kann ich ihn haben?«
    Gil zögert einen Augenblick, dann gibt er ihn mir. Während ich die Pergamentseite betrachte, die offenbar aus einem Notizbüchlein herausgerissen wurde, fragt er:
    »Sagt dir der Name Fra Galcerán de Borja y Llançol de Romanì etwas?«
    »Nein«, lüge ich.
    Während eines Schneesturms vor vier Tagen haben Fra Galcerán und ich uns in den tief verschneiten Abruzzen hoffnungslos verirrt – das hat Gil vorhin seinen Freunden erzählt. Woher kamen wir? Wohin wollten wir? Warum ritten wir zusammen durch die verschneite Einsamkeit? Und warum wurde Fra Galcerán ermordet? Das muss kurz vor meinem Sturz gewesen sein. Hat es einen Kampf gegeben, bei dem ich verletzt wurde? Ging es um den Schlüssel, den ich während meiner Ohnmacht in der Hand hielt, als hinge mein Leben davon ab?
    »Wer ist das?«, will ich wissen.
    »Fra Galcerán de Borja y Llançol de Romanì war ein hochrangiger Ritter des Johanniterordens von Rhodos. Und ein Verwandter von Kardinal Alonso de Borja aus Xàtiva bei Valencia in Aragón, der sich in Italien Alonso Borgia nennt. Der Kardinal hat einen dreiundzwanzigjährigen Neffen, der in Bologna studiert. Roderic de Borja y Llançol – Rodrigo Borgia.«
    »Der Name sagt mir nichts.
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