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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Goldstein
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öffnete, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: Der Tod. Und die Hölle folgte ihm nach.‹
    Der Tod sieht aus wie Mehmed. Wie lange noch, Gott, wie lange noch?
    Um mich herum hasten Männer in Helm und Harnisch, mit eingezogenen Köpfen und Schultern, tief am Boden, in Deckung vor den Kanonenkugeln und den Brandpfeilen. Es sind meine Bravi. Sie fliehen nicht zu den Schiffen im Hafen, wie es so viele andere tun. Sie bleiben bei mir, trotz des schweren Feuers, mit dem uns die Türken auf diesem Mauerabschnitt unweit des Kaiserpalastes eindecken, trotz der aussichtslosen Lage, trotz des sicheren Todes.
    Das verschwitzte, blut- und rußverschmierte Gesicht eines Mannes mit schulterlangem kastanienbraunen Haar taucht neben mir auf. Mit erhobener Hand hält er die Bravi an, dann beugt er sich über mich, streicht mir eine schweißnasse Strähne aus der Stirn und gibt mir einen zarten Kuss auf die Lippen. »Halte durch, mein Schatz!«
    Ich knirsche mit den Zähnen und nicke nur.
    Mit Donnergetöse explodiert etwas in unserer Nähe. Steinsplitter, Holz und Sand prasseln auf uns nieder.
    Ungestüm wirft er sich auf mich und reißt mich mit der Trage zu Boden, während wieder eine Kanonenkugel in die Mauer kracht. Der Boden bebt. Ein Schwall heißer Luft fegt über uns hinweg.
    Keuchend rappelt er sich auf. »Du musst weg von hier!« Wieder küsst er mich.
    »Aber ich …«
    »Du tust, was ich dir …!« Ein Kanonendonner übertönt ihn. »Ich bin dein Ehemann!«
    »Bist du nicht! Noch nicht.«
    »Aber heute Abend.« Er atmet tief durch. »Wie lange habe ich gehofft, dass du mich eines Tages heiratest. Unsere Hochzeitsfeier wird unvergesslich bleiben, glaub mir! Wer hat schon einen Kaiser als Trauzeugen? Und dann dieses Feuerwerk?« Hasserfüllt deutet er über die Mauer hinweg zum Purpurzelt vor den Toren der Stadt. »Konstantin ist heute Abend unser Gast. Was meinst du, sollten wir Mehmed der Form halber auch einladen?«
    »Er kommt bestimmt.« Ich lächele matt.
    Er grinst. »Das glaube ich auch. Er will dich kennenlernen. Er will wissen, wer ihm die Köpfe seiner Janitscharen vor die Füße schießt.« Dann wird er wieder ernst. »Du lässt dich jetzt in den Blachernen-Palast bringen und deine Wunden versorgen. Dann holst du die Reliquie und versteckst sie in unseren Räumen im Palast. Hast du den Schlüssel für den Schrein?«
    Ich ziehe ihn unter dem Harnisch hervor und halte ihn hoch.
    »Du kommst nicht zurück, hast du mich verstanden?«
    »Und du?«
    »Ich bleibe hier.«
    Ein Bote stürmt heran. »Euer Gnaden?«
    Der Condottiere des Papstes wendet sich zu ihm um, während ich mich mühsam auf der Trage aufrichte. »Ja?«, sagen wir beide gleichzeitig.
    Der Junge blickt erst ihn verwirrt an, dann mich. »Der Kaiser ist verschollen, Euer Gnaden. Der Megadux sucht nach ihm. Der Kardinal ist auf der Seeseite, nahe der Akropolis. Und Giovanni Giustiniani ist verwundet. Eine Kanonenkugel hat ihm fast die Schulter weggerissen. Er blutet stark. Er hat die Mauer verlassen, damit er versorgt wird. Bei den Genuesen geht das Gerücht um, dass ihr Kommandeur überstürzt zu einer italienischen Galeere im Hafen geflohen ist, weil die Türken durchgebrochen sind«, stöhnt er. Dann besinnt er sich. »Nachdem der Kaiser verschwunden ist, habt Ihr …« Er wirft mir einen unsicheren Blick zu. »… ähm … Ihr beide das Kommando über die Verteidigung der Stadt. Gott steh uns allen bei!« Tränen rinnen ihm über das Gesicht. »Wie lange können wir noch standhalten?«
    Ja, wie lange können wir noch leben im Schatten des Todes? Wie lange noch können wir Angst, Raserei, Erschöpfung und Schmerz ertragen? Diese unerträgliche Hoffnungslosigkeit, die wir alle hinter einem verbissenen Lächeln verbergen?
    Was ist das?
    Trotz des Lärms kann ich plötzlich leise Musik hören. Ich lausche angestrengt. Tatsächlich, eine schöne, tröstende Melodie dringt zu mir.
    Ich schließe die Augen und versuche mich zu entspannen.
    Schlafe ich? Träume ich? Hat der Medicus mir schon das Opium gegen die Schmerzen gegeben? Bin ich noch auf der umkämpften Stadtmauer, oder liege ich schon in meinem Bett im Kaiserpalast? Woher kommt diese wundervolle Musik? Von sehr weit her … von jenseits der Finsternis.
    Langsam schwebe ich durch die Leere und folge der verlockenden Melodie. Woher kenne ich dieses arabische Lied?
    Habe ich es im Garten der Alhambra gehört? Oder im Löwenhof, während eines Abendessens mit dem Sultan? Jemand, der
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