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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Autoren: Frank Schmitter
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bitten, vorläufig nicht bei meinen Eltern anzurufen. Ich würde nämlich annehmen, dass Du nur anrufst, weil wir Gerding verlassen haben, und nicht, weil Du mit mir reden möchtest.
    Natürlich war gestern Abend ein totaler Schock für mich, obwohl ich nicht glaube, dass Du gelogen hast. Ich weiß nicht, was das alles bedeutet, für Dich und für uns. Ich weiß nur, dass sich unser Leben in den letzten Jahren verändert hat. Eigentlich haben wir alles, was wir wollten, aber wir haben uns irgendwie verloren, und ich weiß nicht, wie und warum es passiert ist. Ich brauche Zeit.
    Mein Vater wird uns vom Bahnhof abholen.
    P.S. Veronika kam vorbei, als die Koffer in der Diele standen. Ich habe ihr einfach gesagt, dass mein Vater nach einem schweren Autounfall im Krankenhaus liegt. Mir fiel nichts anderes ein.
     
    Ein Kind schrie auf, der Schrei drang herein durch die Küchenfenster, die in Kippstellung waren, zersplitterte an Frieders Rücken, suchte seine Ohren und jagte einen Pfeil durch die Trommelfelle. Frieder drehte sich um und ging, den Brief in der Hand, zum Fenster. Er sah Skye (oder war es Franklin?), vor Heide stehend, die dessen rechte Hand rieb und streichelte und dagegen blies. Franklin (oder Skye) spielte weiter im Sand, vielleicht hatte er auf die Hand seines Zwillingsbruders getreten oder mit der Metallschaufel draufgeschlagen. Jedenfalls – das Opfer beruhigte sich langsam wieder, Heide küsste ein paar Tränen auf dessen Wange weg, und Frieder wusste, dass Kinder in der Anwesenheit ihrer Eltern den Schrei-Turbo erst recht voll aufdrehen.
    Frieder öffnete den Kühlschrank; er hasste die Vorstellung, jetzt einkaufen zu müssen, und sah zu seiner Erleichterung Milch, Butter, zwei noch nicht angebrochene Packungen mit Emmentaler und Salami. Im Brotkasten zwei Semmeln und eine Packung Knäckebrot, haltbar bis kurz vor seiner Pensionierung.
    Ein Heißhunger auf Süßigkeiten überfiel ihn. Frieder aß gierig eine Tafel Schokolade, auf ex, während er die Treppe nach oben ging und den Heißwasserhahn im Badezimmer aufdrehte. Die Kleidung – den ganzen Tag über hatte er sich unwohl und verschwitzt gefühlt – ließ er auf den Boden fallen, das Schokoladenpapier knüllte er zusammen und warf es in den Flur.
    Nach dem Abendessen wurde Frieder bewusst, dass er nicht in seinem Bett schlafen konnte. Er holte eine Gummimatte – die Daria vor Jahren für einen Gymnastikkurs bei der Volkshochschule gekauft hatte –  aus dem Keller und das Bettzeug aus dem Schlafzimmer. Er schob den Wohnzimmertisch näher an die Couch und bereitete sich ein Nachtlager vor dem Fernseher. Ein paar Stunden und eine Flasche Rotwein später schlief er ein.
    Der Alkohol hatte dieselbe Wirkung wie die Nacht zuvor: Als er auf die Uhr schaute, mit schmerzendem Rücken, den linken Unterschenkel auf dem kalten Parkettboden, war es kurz nach sechs. Frieder fuhr in die Bäckerei an der S-Bahn, und obwohl er erst zum zweiten Mal um diese Zeit dort war, fühlte er eine seltsame Art der Vertrautheit mit den Stammkunden, die ihre Butterbrezeln oder belegten Sandwiches in die Aktentaschen steckten. Auch wenn kaum ein Wort fiel zwischen den Kunden und der Bedienung, sah Frieder eine gewisse Zartheit in diesen Szenen, in ihrer von außen betrachtet nahezu tödlichen Beiläufigkeit und Banalität. Vielleicht ist dieser kurze Moment, dachte er, das Einzige, was die Leute dazu bringt, ihren Job zu machen; vielleicht liegt in einem Blick zwischen der Verkäuferin und ihrem Kunden mehr Nähe als zwischen ihnen und ihren realen Lebenspartnern.
    Als Frieder das Frühstück in seinem Arbeitszimmer beendet hatte, spürte er eine tiefe Müdigkeit. Sie kam auf ihn zu wie eine große Welle; Schlafrückstand, das wusste er aus Erfahrung, zeigte sich bei ihm im Wechsel zwischen einer überhitzten Überwachheit, die in den Pupillen schmerzte, und Phasen einer bleiernen Gliederschwernis. Frieder dachte an Freidorfer; vielleicht würde er in diesen Tagen, vielleicht gerade in diesen Minuten, mit Frieders Chef telefonieren und sagen, vielen Dank, aber in Zukunft kochen wir bei uns selbst. Frieder musste sich auf ein Gespräch im Chefzimmer vorbereiten, eine Strategie entwickeln, sich neu erfinden, um seinen Job zu retten. Er öffnete ein neues Dokument in seinem Textverarbeitungsprogramm und nannte es „Ideen-Checkliste“. Aber eine Müdigkeit, die keine physische war, drückte ihn nieder, schien alle Energie und Kraft aufzusaugen.
    Lieber Bernhard, schrieb
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