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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
Autoren: Frank Schmitter
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beim Trampen mitgenommen. Auf dem Weg zur Arbeit. Er hat mir irgendwie leidgetan. Wenn er unter der Woche an der Straße stand, habe ich ihn mitgenommen bis Haidhausen. Aber das war nicht allzu häufig, weil er – soviel ich weiß – in Gerding auf die Schule geht.“
    Er fühlte Darias Blick auf sich.
    „Leidgetan?“, fragte Helminger. „Was darf ich mir darunter vorstellen?“
    „Das war mein erster Eindruck, als er da an der Straße stand. Verletzt, irgendwie verstört. Er kommt wohl aus einem kaputten Elternhaus, ist häufig geschlagen worden. Na ja, ich – ich meine, meine Familie und ich – wir leben hier in diesem Haus (das Wort „unverdient“ spielte sich aus einem diffusen Unterbewusstsein auf Frieders Lippen, aber er schluckte es herunter), wir haben keine finanziellen Sorgen. Ich habe mich … ein bisschen um ihn kümmern wollen, glaube ich.“
    Seine rechte Hand tastete hinüber zu Daria. Er suchte ihre Hand, aber sie entzog sie ihm.
    „Haben Sie Mark auch manchmal anderswo getroffen?“
    „Nein, niemals. Ich weiß ja nicht mal, wo genau er wohnt.“
    „Der Mann gestern Abend …“ Daria drehte sich langsam zu Frieder. Sie räusperte sich, weil ihre Stimme wegrutschte. Frieder spürte ihre ungeheure Angespanntheit, als würde sie in Wellen zu ihm getragen. „Das war sein Vater? Der dich so beschimpft hat?“
    „Sie wissen, Herr Geesen“, sagte Schmidt, „womit der verletzte, verstörte – ich hoffe, ich habe Sie richtig zitiert – Junge sein Taschengeld aufgebessert hat? Am Stachus und in diversen Hotels?“
    Frieder schüttelte den Kopf.
    Helminger griff in die Innentasche seines Jacketts und holte ein Foto heraus, hielt es jedoch noch in seiner Hand.
    „Was wir vorläufig wissen“ – er machte eine Pause und suchte den Blickkontakt zu seinem Kollegen, der ihm bedächtig zunickte –, „ist, dass Mark einige seiner, sagen wir, Kunden erpresst hat oder erpressen wollte. Einige sind verheiratet, andere befinden sich offenbar in sensiblen gesellschaftlichen oder beruflichen Positionen. Herr Geesen, ich möchte Sie fragen, was Sie uns zu diesem Foto erzählen können.“
    Er legte es mit der Rückseite nach oben auf den Tisch. In einer ungelenken, krakeligen Handschrift waren Frieders vollständiger Name und seine Anschrift notiert. Daria griff das Bild und drehte es um. Nahezu im selben Moment entfuhr ihr ein Laut, ein dumpfer, irgendwie hohler Laut, als würgte sie etwas herunter. Dann ließ sie das Foto fallen, stand ruckartig auf und lief die Treppe hoch.
    „Manchmal habe ich ihm morgens ein paar belegte Semmeln gekauft, die er an der Isar gegessen hat. Wir haben uns ein wenig unterhalten, und dann bin ich zur Arbeit gefahren. Das Foto hat er bei unserem letzten Treffen gemacht, vielleicht vor zwei, drei Wochen. Für mich war es völlig überraschend, aber jetzt weiß ich, warum er mich in diese Position manövriert hat. Als wären wir …“
    „Haben Sie“, fragte Schmidt, „seitdem etwas von Mark gehört? Oder Post von ihm bekommen?“
    „Weder noch. Es gibt auch nichts, warum Mark mich erpressen könnte.“
    „Außer vielleicht diesem Foto von einem Nichts“, sagte Helminger.
    Frieder starrte geradeaus in den Fernseher. Aus irgendeinem Grund wünschte er, dass er in diesem Augenblick von selbst anginge und Bilder zeigte von dichtbewaldeten Bergen, von einem blauen Himmel und einem noch blaueren See. Eine schöne Landschaft, aus Österreich vielleicht, Frauen, die Dirndl trugen, mit einem schönen, frischen Busen, und Männer, die an einem Bootssteg auf sie warteten.
    Schmidt räusperte sich.
    „Ich würde mich jetzt gerne um meine Frau kümmern“, sagte Frieder.
    Die beiden Kommissare standen auf und ließen sich von Frieder zur Tür begleiten.
    „War es nötig“, fragte er, „meine Frau in diese Angelegenheit hineinzuziehen, in dieser Form.“
    Schmidt zuckte die Achseln. „Aber es war doch nichts“, sagte er und schaffte es auch in diesem Moment, seiner Mimik und seinem Tonfall jeglichen Ausdrucks zu enthalten.
     
     
    Ein merkwürdiges Gefühl, als Erster den Gang zu betreten. Zum ersten Mal. Den Lichtschalter zu betätigen und zu sehen, wie das Licht die rechteckigen Deckenlampen vorwärtsklettert, bis zum Ende des Korridors. Der Geruch des Teppichs. Das metallische Hallen, als er den Schlüssel umdrehte. Bürotüren in der Symmetrie von Gefängniszellen.
    Frieder kochte einen Tee, ging zurück in sein Büro und packte die beiden Butterbrezeln aus. Er
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