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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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und Frankreich gesehen hatte, schwärmte er dafür.
    Man geht nicht fehl, wenn man annimmt, daß die Herren im Schloß – ungewiß, wie der unberechenbare Monarch sich entschließen würde – all diese Dinge durchsprachen und alle Möglichkeiten erwogen. Es läßt sich auch denken, daß es Bismarck während jener ungewissen Tage nicht allzu wohl in seiner Haut war.
    Der König wurde endlich in einer Jagdhütte in der Nähe von Hohenschwangau gefunden und verständigt. Nur widerwillig kehrte er nach Berg zurück und blieb anfangs völlig unzugänglich. Seinen Minister Holnstein und den preußischen Gesandten wies er fürs erste barsch ab. Die Herren waren in heller Verzweiflung. Der König sperrte sich in sein blaues Zimmer auf der Seeseite, ging grübelnd hin und her und trat manchmal auf den offenen Balkon. Er sah auf das still daliegende Wasser, schaute hinüber nach Possenhofen, knirschte und ballte die Fäuste.
    Aber von all dem wußten die Landleute nichts. Sie hatten nur die dahinsausende Karosse des Königs gesehen. Einige Reiter folgten ihr.
    Zwei Tage darauf trieb der Postillon von Aufkirchen, der täglich in der Frühe nach Starnberg fuhr und tief am Vormittag wieder zurückkam, seine Pferde ungeduldig an, und gegen alle Gepflogenheit blies er heute kein Lied auf dem Posthorn. Als er aus dem Wald kam, schnellte er von seinem Bocksitz hoch und schrie laut in die Felder: »Krieg ist! Krieg! Krieg!« Die Leute schauten nach ihm, als zweifelten sie an seinem Verstand. Schneller und schneller rollte die wacklige hohe, gelbschwarze Kutsche auf der staubigen Straße dahin, und immer, immer wieder schallte der klanglose Ruf über die prallbesonnten Flächen. Mitten am Vormittag fingen auf einmal die Glocken von Aufkirchen und von den umliegenden Kirchen zu läuten an. Jetzt erst horchten die Erntenden bang auf, schauten einander an, blickten fragend auf die Nachbarn in den anderen Feldern, ließen die Arbeit liegen und fragten von Feld zu Feld, was denn vorgefallen sein möge.
    »Krieg ist! Krieg! Krieg ist!« schrie der Mesner, der eben aus dem Pfarrdorf kam und auf die abschüssigen Felder der Aufkirchener und Aufhauser trat.
    »Krieg? Gegen wen denn?« wollten die zunächst Arbeitenden wissen.
    »Gegen die Franzosen!« antwortete der Mesner und sah nichts als verständnislose Gesichter.
    »Gegen die Franzosen? … Ja, die haben uns doch nie was gemacht?« meinte der Jani-Hans, und schon umstand ein Ring von Neugierigen, die aus den Getreideäckern herbeigelaufen waren, den Mesner, der nun erzählte, daß der Postillon eben die ministeriellen Verordnungen gebracht habe.
    »Hängt schon alles beim Fink im Gemeindekasten!« berichtete er weiter. Der Fink war der Wirt, Posthalter und Bürgermeister zugleich. »Alles muß einrücken! Jedes Mannsbild muß fort! … Es hilft nichts!« sagte der Mesner wiederum und setzte dazu: »Überall weiß man’s schon.« Eine kurze Weile wurde es stumm. Niemand machte ein gutes Gesicht. Jetzt erinnerten sich etliche, wie auffällig schnell der König vor einigen Tagen gefahren sei. Dann sagte der Jani-Hans: »Hm, jetzt Krieg? So mitten im Sommer, wo die meiste Arbeit ist! Jetzt so was, hm! Dümmer hätten sich die Herren die Zeit nicht aussuchen können! Akkurat jetzt fällt ihnen so was ein, hmhm!« An allen Mienen war zu sehen, daß man seiner Meinung war.
    »Ja, mein Gott, was will man da machen!« schloß der Mesner fast verlegen, als habe er den Krieg gemacht, »jetzt ist’s schon wie’s ist!« Brummend und leicht verärgert gingen die Leute wieder an die Arbeit. Aller Eifer war verwichen. Gleichgültig fielen die gewohnten Handgriffe aus. Jeder Mensch war tief verstimmt, wenn er dem anderen die Neuigkeit zurief.
    Am übernächsten Tag brachte der »schwarze Peter« in jedes Haus die Stellungsbefehle für die wehrtauglichen Männer. Stets schimpfte er dabei geradezu staatsgefährlich über so eine »absolute Hirnlosigkeit« des Königs, über seine Minister und über die Bayern im allgemeinen, die sich mit den »Prussiens« in eine derart aussichtslose Sache eingelassen hatten.
    Kein Mensch mochte die Preußen. 66 war nicht vergessen. Der Peter fand viel Beifall, erhitzte sich immer mehr und prophezeite eine schreckliche Niederlage der vereinigten deutschen Heere. Die »grande armée« meinte er, verstehe zu vergelten, und die Zukunft falle düster aus. Dann wurden die Gesichter seiner Zuhörer bekümmert und bedrückt und mancher sagte: »Unser armer König! Der hat
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