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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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von ihm zu merken, kein Bauer las je einen Traktat der sich befehdenden Parteien, es kam höchstenfalls einmal vor, daß der Pfarrer in seiner Predigt dunkle Andeutungen gegen das »neumodische Ketzertum« machte oder mit einem besonders eifrigen Gläubigen einige Worte darüber wechselte. Das war eigentlich alles.
    Der Jani-Hans nahm seine qualmende Pfeife aus dem rechten Mundwinkel, spuckte aus, neigte sein Gesicht näher der Heimrathin zu und sagte gedämpfter: »Und unser König, der ist auch nicht der richtige …«
    »Der König? … Der?« fragte die Bäuerin, und auch ihre Töchter schauten jetzt neugieriger auf.
    »Ja, unser König!« nickte der Hans und vergaß sogar weiterzurauchen. »Kein Mensch versteht’s! Nicht jagt er die Hetzer gegen unseren Heiligen Vater davon. Jeden laßt er auf seinem Posten! Das bringt ihm kein Glück! Das geht noch recht schlecht aus!« Und er, der sich Tag für Tag außer seiner Arbeit mit nichts anderem als Beten und ähnlichen Religionsübungen zu beschäftigen schien, nannte auf einmal nie gehörte Namen von Gegnern des päpstlichen Dogmas. Insbesondere schimpfte er gegen den weltberühmten Theologen Ignaz Döllinger, den der König trotz des vatikanischen Widerspruchs auf seinem Münchner Lehrstuhl belassen hatte.
    »Der ist ärger wie jeder Lutherische!« knurrte der Hans, zog wieder fest an seiner Pfeife und sagte laut, als wolle er alle warnen: »Der hochwürdige Herr Pfarrer sagt, wir sollten nur genau aufpassen, daß uns keiner was ins Haus bringt, was von dem Lumpen herkommt. Wo Döllinger draufsteht, sagt er, das sollen wir gleich verbrennen! Es kommt direkt von der Höll’.«
    »Wer soll denn so was schon zu uns bringen!« meinte darauf die Heimrathin, der dieses Eifern schon langsam zuwider wurde, »bei uns wird doch das ganze Jahr nicht gelesen!« Dafür hatten die Aufhauser wirklich weder Zeit noch Interesse. Schul- und Meßbücher waren seit jeher ihre einzige Lektüre.
    Der Hans aber beruhigte sich keineswegs. Er kam auf die zwei Taglöhner aus dem Vilz zu sprechen, die sich stets über seine Frömmigkeit lustig machten und sogar manchmal die Heimrath-Töchter damit ansteckten. Wiederum zitierte er einen Ausspruch des Pfarrers, wonach der Höllische sich in »verschiedenster Gestalt« an Gläubige heranmache, die nicht wachsam genug seien.
    »Und der schwarze Peter, der?« rief er fast zänkisch, »kaum, daß er noch vom Fleck kommt, aber er rennt herum und hat’s kreuznotwendig!« Und er berichtete über eine Unterhaltung zwischen dem Peter und dem einen Vilzler, dem Much-Girgl, die ihm sehr verdächtig vorgekommen war. Der Peter, der stets die derbsten Ausdrücke gebrauchte, wenn über Kirche und Religion gesprochen wurde, hatte den Girgl gefragt: »Eins möcht’ ich wissen – sag’ mir, warum geht diesen Dickschädeln bloß das Pfäffische ein? Warum hält sich die Pfafferei so lang?«
    »Hm«, hatte der Girgl bedächtig grinsend erwidert, »hm, so was ist doch ganz einfach! Weil’s so uralt ist wie nichts auf der Welt, und weil’s nie gewechselt hat! An so was kann sich der Mensch halten! Aber alles andere, das bleibt doch nie lang! Bis sich einer richtig dran gewöhnt hat, ist’s meistens schon wieder aus damit. Bauernleut’ mögen bloß was Reelles! Was ewig wechselt, ist nichts wert, und man kennt sich auch nie aus damit.« Der Peter, so erzählte der Jani-Hans mißgünstig, habe darauf gestutzt, böse glänzende Augen bekommen, sich mit der Hand aufs Hirn geschlagen und respektlos laut gesagt: »Hm, Diable! Grandios! Du bist ein heller Kopf, Girgl! Jetzt versteh’ ich die ganze Raffinesse erst!«
    Die Resl und die kleinere Anna, die allem Anschein nach nur wenig begriffen hatten, kicherten dennoch verstohlen in sich hinein. Ihnen waren der sonderbare Peter und der aufgeweckte Much-Girgl viel lieber als der Jani-Hans. Sie hatten Einfälle und brachten immer etwas Neues oder Lustiges in das eintönige Leben. Der Hans dagegen war in der letzten Zeit recht unleidlich geworden. Nichts konnte man ihm mehr gut genug machen. Die schier unbezwingbare Arbeit ging ihm viel zu langsam. Fortwährend nörgelte er, und er übertrieb seine Frömmerei derart, daß sie zu guter Letzt jedem auf die Nerven ging.
    Deswegen nahm die Heimrathin auch sein jetziges Gerede nicht allzu ernst. Der Peter, meinte sie nur, sei ein alter Narr und der Girgl ein Luftikus, die keinem Menschen etwas in den Weg legten. Endlich war man auch in Aufhausen angelangt und der
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