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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oskar Maria Graf
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Disput hatte ebenfalls sein Ende.
    Die letzten Oktoberwochen brachten kalte Regengüsse. Zum Glück waren die Heimraths noch mit dem Einernten fertig geworden. Bald mischten sich in den Regen große Schneeflocken, die lautlos herniederfielen und sogleich wieder zergingen. Während die dumpfen Schläge der Dreschflegel wie ein gleichmäßiges Klopfen das ganze Haus erfüllten, stand die Bäuerin in der Kuchl und kochte die zwiebelduftende Brennsuppe. Der würzige Geruch des frischen Krautes mischte sich darein, und die geriebenen, mit Mehl vermengten Kartoffeln schmorten in einer umfänglichen Pfanne auf dem Herd. Die weiß-schwarze Katze kroch, sich streckend, aus dem Ofenloch und schmiegte ihren glatten Körper an den Fuß der Heimrathin. An die nassen, angelaufenen Fensterscheiben flatterten von Zeit zu Zeit hungrige Spatzen und piepsten geschäftig. Draußen auf dem hohen, warm dampfenden Düngerhaufen standen, barfuß und mit hochgeschürztem Rock, die Resl und eine Magd, die Liesl. Sie beluden die Wagen, die der Much-Girgl und der Jani-Hans auf die Äcker und Felder fuhren. Wenn der Girgl zurückkam, lachten die zwei, halfen ihm bereitwillig beim Aus- und Einspannen der Pferde und machten allerhand harmlose Späße dabei. Kam der Hans, so rührten sie sich nicht, blieben stumm, und jede von ihnen machte dieselbe griesgrämige Miene wie er.
    Der Hans benahm sich seltsam. Oft, bevor er mit dem vollen Wagen wegfuhr, ging er in die Kuchl oder in den Stall und schien irgend etwas zu suchen. Erst nach einer Weile kam er wieder zum Vorschein und hatte eher ein noch grämlicheres Gesicht. Knurrend trieb er die Pferde an. Das fiel der Liesl und der Resl auf.
    »Was er bloß in einem fort herumgeistert!« sagte die Magd, als er weggefahren war, und setzte unfreundlich dazu: »Er hat wieder was im Sinn.«
    »Jaja, kann schon sein«, meinte die Resl gleichgültig, »bei dem kennt sich ja nie einer aus.«
    »Wirst auch nichts verraten, Resl, wenn ich dir was sag? Ganz gewiß nicht?« wandte sich die Liesl kurz an sie, und die Augen der beiden begegneten einander.
    »Ich? – auf Ehr’ und Seligkeit nicht, Liesl!« schwor die Resl, und da erzählte ihr die Magd halblaut und in aller Schnelligkeit, daß der Hans, der falsche bigotte Tropf, nichts anderes im Kopf habe, als Heimrathbauer zu werden. Die Resl, die eben eine Gabel voll Dünger auf den Wagen werfen wollte, hielt inne und bekam ein sonderbares Gesicht.
    Sie war in diesem Mai aus der Schule gekommen und nunmehr dreizehn Jahre alt. Sie war voll erblüht, weit kräftiger als ihre Schwestern, und sie sah auch beträchtlich älter aus. Ohne ihr Zutun, einzig und allein durch die Art ihrer täglichen Arbeit und durch das ständige Zusammensein mit älteren Leuten, hatten sich ihr die scheinbar geheimnisvollen Dinge des Lebens auf natürliche Weise enthüllt. Arglos sahen die Kinder zu, wenn der Stier auf die Kuh gelassen wurde, wenn der wiehernde Hengst sich ungeschlacht über die Stute wölbte oder der Hahn beinahe gravitätisch auf eine Henne sprang. Oft und oft hatte die Resl beim Kälberziehen mitgeholfen, und sie war mit ihren Schwestern neugierig und lustig schwatzend am Roß-Stand gestanden, wenn die Männer sich an der gebärenden Stute zu schaffen machten. Endlich entquoll dem aufgeblähten Leib des unruhig schnaubenden Pferdes eine rotzige, haarige Masse, bewegte sich kurz darauf und war auf einmal ein Fohlen, das linkisch seine klebrigen, stelzigen Beine streckte. Der Knecht trug es aus dem umplankten Stand, legte es auf frisches Stroh und wusch es mit warmem Wasser. Die Stute schaute danach, und alle freuten sich über ihre zärtlich besorgten Augen. Aufmerksam – vom schmatzenden Aussaugen des Mutter-Euters bis zum ersten Austrieb – wurde das Aufwachsen des Jungviehs verfolgt.
    Ebenso deutlich erinnerte sich die Resl an die Zeit, da ihre Mutter noch manchmal dicker und dicker geworden war, sie entsann sich der Worte ihres verstorbenen Vaters, der dann meistens lächelnd sagte: »Jetzt wird bald wieder einmal der Ofen einbrechen.« Ohne geringste Nebengedanken begriffen die Kinder, daß mit »Ofen« der unförmige, schwere Leib ihrer Mutter gemeint war, und sie fanden nichts dabei, wenn der Bauer sie bat, sie sollten der Schwangeren die schweren Arbeiten abnehmen und sie möglichst in Ruhe lassen, damit – wie er sich ausdrückte – »sie was Festes und Gesundes austragen könne«.
    Der Mensch war nichts anderes als das Tier. Die Pflanzen des

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