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Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Das Leben meiner Mutter (German Edition)

Titel: Das Leben meiner Mutter (German Edition)
Autoren: Oskar Maria Graf
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völlig wahllos mit seiner Umgebung. Den Ministern und Kabinettssekretären trat er meist mißgelaunt und gereizt entgegen und forderte oft Unmögliches von ihnen. Dann wieder lieh er sein Ohr bereitwillig einem Stallmeister oder unterwürfigen Lakai. Außer seinem häßlichen, eisgrauen, genialischen Großvater, dem ersten Ludwig, welcher im wilden Jahr 48 wegen seiner Liebschaft mit der spanischen Tänzerin Lola Montez dem Thron hatte entsagen müssen, konnte der junge König keinen Verwandten leiden. Er mied sie alle. Jener alte Ludwig ging noch einige Jahre als unauffälliger, schäbig gekleideter Privatmann in München herum und war auch hin und wieder in Berg zu sehen. Die Überlieferung will wissen, daß er den jüngeren bewunderte, aber mehr noch um ihn bangte; denn alles, was sein Enkel tat, war von einer fremdartigen, schaurigen Großartigkeit, die eher an einen asiatischen Sultan denn an einen europäischen Landesherrn gemahnte. Er hatte einen wildwuchernden Geschmack für starre, leere, majestätische Pracht. Blau und Silber in jeder Verarbeitung bevorzugte er, und in wirren, prallen Ornamenten, in welchen stets Schwäne oder Pfauen die tragende Rolle spielten, konnte er sich nicht genug tun. Im ersten Stockwerk der altehrwürdigen Münchner Residenz hatte er, trotz allen Abratens der Fachleute, die eine Einsturzgefahr befürchteten, ein riesiges Schwimmbassin errichten lassen, umgeben von dichten exotischen Pflanzen. Der Plafond darüber war tiefblau, und silberne Sterne prangten darin. Ein schwanenförmiges Boot schwamm auf der künstlich erleuchteten Wasserfläche. Der König saß darin, angetan mit einer Ritterrüstung, und er lauschte einem unsichtbaren Orchester. Im Berger Schloß waren fast alle Räume in Blau gehalten, und blau ausgestrichen war auch das weite, hohe Bad mit einer Decke, die einen überlebensgroßen Schwan mit ausgebreiteten Flügeln zeigte. Alle königlichen Kutschen waren mit blauem Samt gepolstert, dazwischen viel aufdringliches Silber.
    Viel böses Blut hatte Ludwig erregt, als er kurz nach seinem Regierungsantritt den bis dahin ziemlich verkannten, verzweifelten, von allen Nöten gepeinigten Richard Wagner, dessen Kompositionen und Persönlichkeit ihn geradezu magisch anzogen, nach München berief. Der junge König bezahlte alle Schulden des Meisters, erfüllte ihm bedenkenlos jeden Wunsch, setzte ihm einen lebenslänglichen Staatsgehalt aus, ließ seine bisher vollendeten und dann die folgenden Opern im Hoftheater mit beispiellosem Glanz aufführen, veranstaltete kostspielige Separatvorstellungen derselben, denen nur er und der Komponist beiwohnten, vernachlässigte alle Staatsgeschäfte und trieb einen derart überspannten, fast abgöttischen Kult mit Wagner, daß nicht nur die Minister und Prinzen mit dem hohen Klerus, sondern auch die zahlende Münchner Bürgerschaft ärgerlich und rebellisch wurden. Giftige Gerüchte verbreiteten sich, wobei behauptet wurde, Wagner komme vom Teufel und habe den König behext. Außerdem wurde bekannt, daß Wagner, der nunmehr entschiedener Royalist und »Großdeutscher« war, in der Revolution von 1848 auf den Dresdner Barrikaden gestanden, eine Schrift über Revolution geschrieben, sich überhaupt seit jeher politisch verdächtig verhalten hatte und sogar steckbrieflich verfolgt gewesen war. Der Komponist wurde auf den Münchner Straßen angeflegelt und sogar bedroht. Diejenigen, die deswegen verhaftet und abgestraft worden waren, betrachteten die erregten Bürger als aufrechte Männer und den »Lolus« – wie sie den Komponisten in herabmindernder Anspielung auf Lola Montez nannten – verdammten sie. Der darüber verstimmte König zog seinen Schützling an den Starnberger See, in eine Villa, nicht weit entfernt vom Schlosse Berg. Doch der Sturm in der Hauptstadt hörte nicht auf, obgleich der König unnachgiebig blieb und Wagner immer neue Beweise seiner grenzenlosen Gunst lieferte. Ein mächtiges Richard-Wagner-Festspielhaus sollte nach den Entwürfen des Architekten Semper an der Isar erbaut werden. Es wurde schließlich, nachdem sich alle wegen der großen Kosten offen empört hatten, in veränderter, bescheidener Form im stillen Bayreuth errichtet. Der nervenschwache, überreizte König litt in jenen Jahren, da er zu fühlen bekam, daß seine Macht auch Grenzen hatte, fürchterlich und verfiel zeitweise in eine blinde Raserei, die Furcht und Schrecken unter seiner hilflosen Dienerschaft verbreitete. Er mied seine Hauptstadt und
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