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Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Das Leben ist eine Oeko-Baustelle

Titel: Das Leben ist eine Oeko-Baustelle
Autoren: Christiane Paul
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das überhaupt noch?
    »Wenn Leute sagen, das ginge gar nicht mehr, dann stimmt das nicht«, sagt Levermann. »Es wird nicht in jedem Fall katas trophal, und auf eine gewisse Erwärmung haben wir uns definitiv festgelegt, auch wenn alle Emissionen sofort gestoppt würden. Das liegt an der Trägheit des Systems. Das Klimasystem reagiert nicht sofort auf jede Änderung, das braucht Zeit. Aber wenn wir gar kein CO 2 mehr ausstoßen, dann helfen uns Ozean und Landatmosphäre.« Laut EU-Fahrplan sollen sich die EU-Emissionen bis 2050 um bis zu 95 Prozent reduzieren.
    »Es gibt allerdings bisher keine Anzeichen, dass wir drastisch reduzieren.«
    »Das ist politisch argumentiert. Aber wenn wir wirklich von heute auf morgen aufhörten, würden wir unter zwei Grad kommen. Wir rechnen gerade eine Simulation durch, in der wir bei 1,5 Grad rauskommen.«
    Ich sage: »Wenn wir von heute auf morgen komplett anders leben und wirtschaften?«
    Er nickt. »Ich sage das nur, weil Leute sagen, lass uns nicht mehr über zwei Grad reden, lass uns gleich über drei Grad reden. Das halte ich für gefährlich: Drei Grad, das bedeutet viele ziemlich problematische Entwicklungen.«
    »Darüber möchte ich reden, welche sind das genau?«
    »Wir können sagen, dass in einer drei Grad wärmeren Welt der grönländische Eisschild wahrscheinlich nicht da wäre.«
    »Heißt das, dass er bei drei Grad gleich verschwindet?«
    »Nein, es bedeutet, er ist auf der Kippe. Das heißt, es fehlt nicht viel, dann ist er ganz verschwunden. Genauso ist es mit der Westantarktis: Die ist in der Geschichte mehrfach eisfrei gewesen zwischen zwei und drei Grad Temperaturanstieg.«
    Levermann berichtet: Taut die Westantarktis, bedeutet das dreieinhalb Meter Meeresanstieg. Sie habe Eispotenzial für zusätzliche eineinhalb Meter, aber dieses Eis sei nicht direkt gefährdet. Die Ostantarktis hat ein Potenzial für 50 bis 55 Meter Meeresspiegelanstieg, sie wird aber von Wissenschaftlern im Gegensatz zur Westantarktis für stabil gehalten. Schmilzt das Eis in Grönland, bedeutet das sieben Meter Meeresspiegelanstieg, 0,15 bis 0,2 Meter habe man in den letzten 100 Jahren beobachtet. Nach seinen Modellen ist der grönländische Eisschild nie schneller als in 1 000 Jahren verschwunden, eher geht er von 10 000 Jahren aus. Trotzdem führt auch der Beginn des Schmelzens des grönländischen Eisschilds zu einem deutlichen Meeresspiegelanstieg noch im 21. Jahrhundert.
    Etwa ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt in Küstennähe. Was bedeutet denn für diese Menschen ein Meter Meeresspiegelanstieg?
    »Bei einem Meter Meeresanstieg schätzt die UNO etwa 90 Mi llionen Klimaflüchtlinge.«
    »Wer ist, zum Beispiel, betroffen?«
    »Bangladesch, die Niederlande, meine Heimatstadt Bremerhaven. Die Brauerei Guinness hat einen Pachtvertrag in Dublin auf 5 000 Jahre abgeschlossen. Die können ihren Vertrag irgendwann kündigen. Dublin ist ziemlich gefährdet. Es sind aber auch, zum Beispiel, Atomkraftwerke in entsprechend gefährdeten Küstenregionen gebaut worden.«
    Beim Bau des küstennahen Atomkraftwerkes Fukushima hatte man die Tsunami- und Erdbebengefahr ignoriert. Folge war die Nuklearkatastrophe vom März 2011.
    Der Meeresspiegelanstieg ist aber noch nicht mal das große Problem, er kommt langsam, und man kann sich bis zu einem gewissen Grad schützen und anpassen.
    Das Problem, sagt Levermann, sind die Sturmfluten.
    Er zeichnet auf ein neues Blatt Papier die Umrisse von Manhattan.
    »Wenn Sie den Meeresspiegel um einen Meter erhöhen, kriegen Sie in New York eine Sturmflut, die bisher alle 100 Jahre auftrat, künftig alle drei Jahre.«
    Wenn der Meeresspiegel höher ist, hat die gleiche Sturmflut eine deutlich verheerendere Wirkung. Manhattan, die U-Bahn-Schächte, die meernahen Flughäfen – alles könnte unter Wasser stehen. Und wenn die nächste Flut schon droht, stellt sich irgendwann oder umgehend die Frage, ob der Wiederaufbau überhaupt Sinn hat.
    Es geht nicht um Apokalypsen und Angstszenarien, das wird einem beim Gespräch mit Levermann schnell klar, es geht um »Möglichkeiten«. Es geht um Dinge, die passieren können. Und es geht ihm darum, dass ich verstehe, dass das größte Problem das »Unkalkulierbare« ist, das aber aus dem robust wissenschaftlich Ermittelbaren entsteht. Ein Beispiel: Der Auslöser für einen Waldbrand in Griechenland ist eine Zigarette. Das ist wissenschaftlich unkalkulierbar. Das Grundproblem ist jedoch, dass sich durch den Klimawandel die
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