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Das Leben, das uns bleibt (German Edition)

Das Leben, das uns bleibt (German Edition)

Titel: Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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mich selbst genauso, wie ich alle anderen belüge.
    Wir haben den ganzen Tag damit verbracht, den Schutthaufen vor der Kellertür wegzuräumen, hinter der Lisa und Gabriel gefangen waren. Gabriel passte zwar durch das kleine Fenster, aber da nur Lisa ihn stillen kann, musste er immer wieder zurück. Wir haben ihr Wasser und Lebensmittel durchs Fenster gereicht, und Mom hat ein paar von Matts Flanellhemden zerschnitten, um daraus Windeln zu machen. Manchmal kann man hören, wie Gabriel weint, und dann lächeln wir leise in uns hinein. Zumindest einen Moment lang.
    Wir reden kaum miteinander. Wir machen überhaupt nur dann eine Pause, wenn wir so doll husten müssen, dass wir nicht mehr weiterarbeiten können. Ein paar Schlucke abgekochtes Wasser, dann geht es wieder weiter. Es ist auch besser, nicht zu reden. Alles, was wir sagen könnten, würde unsere Trauer nur noch vergrößern. Oder unsere Angst.
    All die Lebensmittel, die Jon und Julie mitgebracht haben, sind weg. Die Vorräte in Mrs Nesbitts Haus auch. Wir wissen es noch nicht genau, aber jedenfalls können wir uns nicht mehr darauf verlassen, weiterhin Lebensmittel aus der Stadt zu bekommen. Wir wissen ja nicht einmal, ob es überhaupt noch eine Stadt gibt. Der Strom ist ausgefallen, diesmal wohl für immer. Die Leitungen sind zerrissen, und es wird niemand kommen, um sie zu reparieren. Vorn auf unserem Haus liegen zwei große Äste und ein Teil des Daches ist eingesackt. Eine Handvoll Fenster ist auch kaputt. Schon komisch. Matt hatte immer Sorge, dass das Wintergartendach irgendwann einstürzen würde, aber ausgerechnet das hat standgehalten. Dafür steht jetzt der ganze Rest des Hauses kurz vorm Einsturz.
    Dad hat Julie auf eine der Matratzen im Wintergarten gelegt. Wir sind abwechselnd reingegangen, um nach ihr zu sehen, den Ofen in Gang zu halten, genug zu essen, um bei Kräften zu bleiben, und uns neben Julie so viel Schlaf zu holen, wie wir konnten.
    Wir haben nicht über Julie gesprochen, bis auf ein einziges Mal. Mom hat erzählt, sie hätte eine Stecknadel genommen und Julie damit in die Hände und Füße gepikt. Sie hat Julie gesagt, sie soll die Augen zumachen und sich melden, wenn sie etwas spürt. Sechs Mal hatte Julie überhaupt nichts gemerkt, und drei Mal hatte sie gesagt, sie hätte vielleicht etwas gespürt, aber zwei von diesen drei Mal hatte Mom sie gar nicht gepikt.
    »Das versteh ich nicht«, sagte Jon. »Was hat das zu bedeuten?«
    »Julie würde selbst gern daran glauben, dass sie an diesen Stellen noch Gefühl hat«, sagte Syl. »Aber daran glauben und es wirklich haben sind zwei verschiedene Dinge.«
    »Aber sie wird doch wieder gesund, oder?«, fragte Jon.
    »Nein«, sagte Mom. »Das wird sie nicht, Jon.«
    »Heißt das, sie wird sterben?«, rief er.
    »Nicht so laut«, sagte Dad. »Lisa soll das alles nicht hören.«
    »Lisa ist mir völlig egal!«, sagte Jon. »Was ist mit Julie? Können wir da nicht irgendwas tun?«
    »Wir können nur versuchen, ihr das Leben so leicht wie möglich zu machen«, sagte Mom. »Du bist kein Kind mehr, Jon. Du weißt, wie das ist.«
    Keiner von uns hatte aufgehört zu arbeiten, während wir über Julie sprachen. Es war früher Abend und der Schutthaufen nur noch anderthalb Meter hoch, so dass wir vom Boden aus arbeiten konnten. Uns allen taten Rücken und Arme so weh, dass wir sie kaum noch spürten, aber wir räumten trotzdem immer weiter Dachziegel, Holzbalken und Möbelteile beiseite.
    »Ich will nicht, dass sie stirbt«, sagte Jon.
    »Das will keiner von uns«, sagte Dad. »Aber wir wollen auch nicht, dass sie leidet. Charlie ist wenigstens schnell gestorben. Manchmal denke ich, das ist das Einzige, worauf wir noch hoffen können.«
    »Nein, Hal«, sagte Mom. »Wir können auch noch auf unsere Kinder hoffen und auf ihre Zukunft. Das ist doch das einzig Wichtige, ihre Zukunft.«
    Ich dachte an die Zukunft, die ich mir noch vor zwei Tagen ausgemalt hatte: Lisa, Gabriel und Julie an einem sicheren Ort; Dad, Alex und ich nah genug dran, um sie hin und wieder zu besuchen und uns zu vergewissern, dass sie gut versorgt werden, dass sie eben jene Zukunft bekommen, die Mom sich für uns alle erhofft.
    Ich hatte Alex jetzt schon seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr gesehen. Ein Teil von mir fing an zu glauben, dass er gar nicht existierte, dass ich ihn mir nur ausgedacht hatte, diesen Jungen, dem ich mein Herz geschenkt hatte, weil er sich mit weniger nicht zufriedengeben wollte.
    Aber ich wusste, dass es
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