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Das Leben, das uns bleibt (German Edition)

Das Leben, das uns bleibt (German Edition)

Titel: Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
Autoren: Susan Beth Pfeffer
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von früher kannte, aber jetzt klang es fremd. Nicht beängstigend, nur ungewohnt.
    Und dann fiel mir ein, was es war. Regen! Regen, der auf das Dach des Wintergartens trommelte.
    In letzter Zeit ist es etwas wärmer geworden, ich nehme an, weil es Frühling wird. Aber ich konnte trotzdem nicht glauben, dass Regen fiel. Richtiger Regen, kein Graupel. Ich schlich mich aus dem Wintergarten und ging zur Vordertür. Unsere Fenster sind alle mit Brettern vernagelt, bis auf eins im Wintergarten. Aber es war Nacht, da konnte man draußen sowieso nichts erkennen – es sei denn, man öffnete die Tür.
    Es war tatsächlich Regen.
    Keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Letzten Sommer und Herbst hatten wir eine lange Dürreperiode. Im Dezember kam dann ein gewaltiger Schneesturm. Später noch einer. Aber für Regen war es immer entweder zu kalt oder zu trocken gewesen.
    Wahrscheinlich hätte ich die anderen wecken sollen. Vielleicht regnete es ja nie wieder. Aber ich hatte so selten Gelegenheit, allein zu sein. Der Wintergarten ist der einzige warme Raum im Haus dank Matt und Jon. Sie haben den ganzen Sommer und Herbst über Holz gehackt. In diesem Raum halten wir uns Tag und Nacht auf.
    Ich weiß, ich sollte dankbar sein, dass wir es wenigstens warm haben. Es gibt vieles, für das ich dankbar sein sollte. Seit einem Monat bekommen wir jede Woche Lebensmittel gebracht, und Mom erlaubt uns zwei Mahlzeiten am Tag. Matt hat sich von seiner Grippe erholt, und ich glaube, Jon ist ein bisschen gewachsen. Mom ist auch wieder ganz die Alte. Sie besteht darauf, dass wir jeden Tag putzen, so gut es eben geht, und so tun, als würden wir für die Schule lernen. Abends hört sie regelmäßig Radio, damit wir wenigstens ansatzweise mitkriegen, was anderswo auf der Welt passiert. Auch wenn ich dort sowieso nie hinkommen werde.
    Seit einem Monat habe ich kein Tagebuch mehr geschrieben. Vorher habe ich das ständig getan. Ich habe damit aufgehört, weil ich dachte, dass es sowieso nicht mehr besser wird. Dass sich nie wieder etwas ändert.
    Aber jetzt regnet es.
    Also hat sich etwas geändert.
    Und ich schreibe wieder.
    26. April
    Ich habe keinem von dem Regen letzte Nacht erzählt. Wenn man sich mit drei Leuten und einer Katze das Zimmer teilt, ist man froh über alles, was man für sich behalten kann.
    Heute Morgen dachte ich kurz, ich hätte den Regen vielleicht auch nur geträumt – so wie ich von der kleinen Rachel geträumt hatte, die sich in mich verwandelte, und wie ich dann zu der toten Mrs Nesbitt wurde. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es wirklich geregnet hat. Bei meinem Gang zum Nachttopfausleeren sah es aus, als sei der Schnee weiter geschmolzen.
    Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal nach Schneematsch sehnen würde. Aber ich hätte ja auch nie gedacht, dass ich mal für das Leeren von Nachttöpfen zuständig sein würde.
    Ob es da, wo Dad, Lisa und das Baby gerade sind, auch geregnet hat? Ich denke lieber über solche Sachen nach als darüber, ob sie noch leben.
    Manchmal frage ich mich, was ich dafür geben würde, Dad wiederzusehen oder wenigstens zu erfahren, wie es ihm geht. Würde ich für den Rest meines Lebens auf eine Mahlzeit am Tag verzichten? Oder auf Strom? Würde ich dafür von zu Hause weggehen?
    Es ist egal. Irgendwann wird aus den zwei Mahlzeiten am Tag sowieso wieder eine werden. Irgendwann wird der Strom endgültig ausfallen. Irgendwann werden wir von hier weggehen müssen, wenn wir überleben wollen.
    Spätestens dann ist klar, dass ich Dad nie mehr wiedersehen werde. Auch nicht Lisa oder die kleine Rachel, die es vielleicht gar nicht gibt. Denn sobald wir von hier fortgehen, wird Dad uns nicht mehr finden können. Genauso wenig, wie wir ihn jetzt finden können. Wie wir einen meiner Freunde finden können, die von hier weggegangen sind, in der Hoffnung, dass es anderswo besser ist.
    Nur wir sind geblieben. Ich sage mir immer wieder, dass wir das Schlimmste überstanden haben und auch alles, was noch kommen mag, überstehen werden. Ich sage mir das, was auch Mom ständig wiederholt: Wo Leben ist, ist Hoffnung.
    Wenn ich bloß wüsste, ob Dad noch lebt.
    27. April
    Es hat wieder geregnet.
    Diesmal ziemlich stark und fast den ganzen Nachmittag lang.
    Man hätte meinen können, es regnet Lebensmittel, Sonnenschein oder Löwenzahn, so begeistert waren alle. Sogar Horton versuchte rauszuschlüpfen, als wir an der Vordertür standen, um uns die Sache anzusehen, aber Jon schob ihn ins Haus
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