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Das Lächeln der Kriegerin

Das Lächeln der Kriegerin

Titel: Das Lächeln der Kriegerin
Autoren: Pilipp Bobrowski
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unterlegenen Vaters kaum ertragen konnte, zielte sie sorgfältig. Eine zweite Chance würde sie nicht bekommen.
    Der Stein traf den Mann an der Schläfe. Er zuckte kurz und kippte seitwärts. Lothiel sprang vom Wagen und rann te zu ihrem Vater. Seine Hose hatte sich mit Blut vollgesogen und klebte am Oberschenkel, das Gesicht war verquollen, die Haut an einigen Stellen aufgeplatzt. Aber er lebte. Adar schaute sie unter geschwollenen Lidern hervor an. »Braves Mädchen«, flüsterte er. »Hilf mir auf den Wagen.«
    Lothiel küsste ihn auf die Stirn, dann half sie ihm hoch und schaffte ihn unter Aufbietung all ihrer Kräfte zur Rückseite des Fuhrwerks. Vater musste sich ziemlich anstrengen, um sich mit ihrer Hilfe auf die Ladefläche zu stemmen, doch schließlich hatten sie es geschafft und Lothiel trieb Tass zur Eile. Vater brauchte Mutters Pflege und hier wollte sie keinen Moment länger verweilen.
     
    Natürlich war Hu der erste, der sie begrüßte, als sie nur wenig später den kleinen Hof erreichten. Doch auch Naneth stand ungeduldig in der Tür des Hauses und als sie sah, wer den Wagen lenkte, schien sie sofort zu begreifen, dass etwas vorgefallen war. Sie lief den beiden entgegen. »Bei Tyaro, was ist geschehen?«
    Lothiel berichtete Mutter von dem Überfall, während beide sich mühten, Vater auf möglichst sanfte Weise ins Haus zu schaffen und auf seiner Schlafstatt zum Liegen zu bringen. Naneth, die die Tochter eines Heilers war und ihrem Vater schon in den Grenzkriegen zur Seite gestanden hatte, prüfte zunächst die Wunden im Gesicht, zog ihrem Mann dann die Hosen aus, um seinen Oberschenkel zu untersuchen. »Es sieht schlimmer aus, als es ist«, stellte sie erleichtert fest. »Dennoch, Adar, du wirst die nächsten Ta ge ruhen müssen und die Schmerzen werden andauern. Doch ich kann sie lindern. Lauf zum Bach, Loth. Ich werde viel Wasser brauchen. Bring mir vorher den kleinen Kessel. Und suche mir Harwgalas und Lebenskraut.«
    Lothiel tat wie ihr geheißen. Sie brachte Mutter zuerst den geflickten Kessel vom Wagen und Naneth füllte die Reste aus den Wasserschläuchen hinein. Mit den leeren Schläuchen lief Lothiel über die Wiese zum Bach. Dabei schaute sie nach dem Lebenskraut. Die kleinen dunkelgrünen Pflanzen wuchsen überall und sie konnte sie nahezu im Laufen pflücken. Harwgalas würde sie später im Wald suchen müssen. Mit den gefüllten Schläuchen und einem großen Bund der heilenden Kräuter kehrte sie zur Mutter zurück, um sich dann auf die Suche nach Harwgalas zu machen. Die kleine Pflanze mit den großen sternförmigen Blättern und den duftenden roten Blüten war schwer zu finden. Mutter hatte ihr erzählt, sie sei im Volk wenig bekannt, obwohl sie, wenn sie frisch sei, in Verbänden wahre Wunder bei der Abheilung von Schwellungen vollbrächte und offene Wunden sauber halte, so dass sie sich schneller schlossen.
    Lothiel kannte die Stellen tiefer im Wald, wo die Heilpflanzen zu finden waren. Auf dem Weg dorthin grübelte sie über das Geschehene nach. Alles war so schnell gegangen. Hatte sie wirklich das Nötige getan? War es nicht ihre Schuld, dass Vater jetzt verletzt war? Hätte sie nicht früher zur Schleuder greifen müssen? Und da war noch etwas, das ihr keine Ruhe ließ.
    Sie rannte zu der Lichtung, fand gerade ausreichend Harwgalas und lief, so schnell sie konnte, zurück zum Hof. Dort übergab sie Mutter die Pflanzen und bat sie darum, Vater eine Frage stellen zu dürfen.
    »Aber nur eine, Loth. Adar braucht vor allem Ruhe«, antwortete Naneth und warf die Pflanzen in das heiße Wasser.
    Lothiel beugte sich nah an das geschundene Gesicht Adars und sprach ihm leise ins Ohr: »Glaubt Ihr, Vater, ich habe ihn getötet?«
    Adar schien nicht gleich zu wissen, was sie meinte. Dann hob er vorsichtig seinen Arm und strich ihr über das dunkle Haar. »Nein, mein Kind. Mach dir keine Sorgen. Er wird kräftige Kopfschmerzen haben, doch die hat er auch verdient.«
    Lothiel nickte erleichtert. Dann gab Mutter ihr einen leichten Klaps und sagte: »Nun ist aber Schluss. Vater hat te heute schon genug Scherereien. Für dich ist es Zeit, schla fen zu gehen.«
     
    In dieser Nacht wurde Lothiel von seltsamen Träumen verfolgt. Sie war wieder in der Grenzfeste und spielte mit Gilborn Verstecken. Doch obgleich sie sah, wie er in einem Fass verschwand, konnte sie ihn dort nicht finden. Sie lief durch Straßen und Gassen, rief und suchte nach ihm. Aber die schmalen Wege zwischen den dunklen
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