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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition)
Autoren: Pieter Webeling
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gab mir Gelegenheit, mir eine neue Pointe auszudenken.
    »Ich lag also ganz benommen im Waggon und sah, wie Sie hier so zusammengepfercht dastehen. Wissen Sie, was dar aufhin mein erster Gedanke war? So verlockend das Reiseziel auch sein mag – bei den Reservierungen ist bestimmt was schiefgelaufen.«
    Geraune. Dieser Witz war zu gewagt gewesen. Sofort weitermachen!
    »Wir sitzen in einem Viehwaggon. Ist das ein Grund zum Lachen? Nein, im Gegenteil. Aber es erinnert mich an ein Foto, auf dem Hitler neben einer Kuh steht. Wissen Sie, was mir sofort aufgefallen ist? Der intelligente Blick der Kuh.«
    Ein Lacher. Ein guter Lacher. Aus dem Waggon hinter uns wurden heisere Schreie laut. Die Schlafanzugmänner konnten mich unmöglich verstehen, doch zumindest tat sich was.
    »Sie haben vielleicht schon gehört, dass in dem Waggon hinter uns ein paar arme Schlucker mitfahren. Wussten Sie, dass Hitler neulich eine Irrenanstalt besucht hat? ›Wissen Sie, wer ich bin?‹, hat er da gefragt. ›Der Führer. Ich habe die Macht. Ich bin so allmächtig wie Gott!‹ Woraufhin ein Patient sagte: ›Nun, den sehen wir hier bestimmt noch öfter!‹«
    Die Deutschen draußen schlugen mit ihren Gewehren gegen die Waggons.
    »Ruhe! Aufhören!«
    »Hören Sie das?«, rief ich über den Lärm hinweg. »Die Scheißdeutschen wollen, dass ich den Mund halte.«
    Wieder Gejohle. Pfiffe auf zwei Fingern. Ein Mann vor mir hielt sich die Hände trichterförmig vor den Mund und rief: »Buuh!« Ich habe das schon immer seltsam gefunden. »Hören Sie das?«, rief ich. »Dieser Herr sitzt in einem Viehwaggon und lässt daran keinerlei Zweifel!«
    Gelächter. Jetzt hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit.
    »Eines noch: Diejenigen, die für diese Reise verantwortlich sind, sind nicht die Ersten. Und das wissen Sie genauso gut wie ich: Über die Jahrhunderte hinweg haben sie uns leiden gelehrt. Aber wir haben gelernt, darüber zu lachen! Oder etwa nicht?«
    Klatschen, Schreien, Stampfen, wildes Getrommel gegen die Wände. Ein älterer Herr grinste und ballte die Faust. Ich genoss es. Draußen tobten die Deutschen, aber ihre Befehle waren wirkungslos. Ich warf einen Blick zur Seite, hinüber zum Engel im grauen Mantel. Sie lächelte und klatschte langsam in die Hände. Wir sahen uns an, sekundenlang.
    Auf einmal hörte ich es knallen, drei-, viermal. In der Wand erschienen Löcher, durch die das Licht fiel. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff. Kurz darauf herrschte Stille im Waggon, nur die Irren hinter uns tobten weiter. Eine Frau begann zu schreien. Max stand schräg vor mir. Er stand da wie gelähmt, sein Blick war glasig, erstaunt. Dann sackte er in sich zusammen wie eine Strohpuppe.
    5
    Das konnte nur ein Versehen gewesen sein. Sie hatten uns Angst einjagen wollen. Sie schossen doch nicht gezielt? Schockiert wichen die Menschen in dem Waggon vor dem Gestürzten zurück. Doktor Levi, der immer noch meinen Mantel trug, kniete neben dem Diamantenhändler und berührte seinen Hals. Er sah mich an und schüttelte bloß resigniert den Kopf.
    Die Geräusche drangen hohl und verzögert an mein Ohr.
    Ich sah, wie der Arzt Max’ Mantel öffnete. Ein dunkelrotes, feuchtes Loch in Herzhöhe wurde sichtbar. Er drehte Max auf die Seite. Die Kugel stecke noch in seinem Körper, sagte er. Es war keine Austrittswunde zu sehen. Eine alte Frau mit einem blutenden Oberarm saß an die Wand gelehnt da und stöhnte. Auch sie war von einer Kugel getroffen worden, außer ihr und Max allerdings niemand. Es war fast ein Wunder.
    Die Schlafanzugmänner genossen nach wie vor lauthals die ausgelassene Stimmung. Sie lachten gezwungen, viel zu laut und völlig grundlos. Warum hatte ich unbedingt auftreten müssen? Ich wusste genau, warum. Nicht, um den Aufruhr durch ein paar Lacher zu beschwichtigen. Ich hatte es ihretwegen getan, wegen der Frau im grauen Mantel. Das war reines Balzverhalten gewesen, wie das eines Pfaus, der ein Rad schlägt, um einem Weibchen zu imponieren.
    Jetzt weinte die Frau mit der Schusswunde. Doktor Levi zog ein rotes Taschentuch aus seiner Hosentasche und verband ihr damit die blutende Schulter. Mich treffe keine Schuld, flüsterte der Engel im grauen Mantel mir zu. Aber wenn ich nicht gewesen wäre, würde Max noch leben. Alle im Waggon wussten das. Sie waren mitschuldig. Sie hatten gelacht! Und jetzt wagten sie es nicht, mich anzusehen, diese Feiglinge!
    Der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Frische Luft, ich brauchte dringend frische Luft! Max
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