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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition)
Autoren: Pieter Webeling
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entgegnete ich vorsichtig.
    »Ich finde das gar nicht witzig.«
    Ich musste zugeben, dass einem nach der Lektüre von Gottes Wort nicht gleich zum Lachen zumute sei. Aber in der Bibel steht auch, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde. Der Mensch hat Humor, folglich hat Gott ebenfalls Humor.
    Sie wurde bissig: Ob ich es witzig fände, dass Er sein eigenes Volk von den Deutschen deportieren lässt? Dass Er das einfach so duldete. Ob ich darauf eine Antwort hätte?
    Ein heikler Punkt.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Entschuldige.«
    Hätte ich einwenden sollen, dass der Mensch schließlich einen freien Willen besitze? Und dass Gott erklärtermaßen nicht interveniere, weil er sonst gar nicht mehr damit fertig würde?
    Er war schon weit nach Mitternacht, als Klara müde und verärgert nach Hause ging. Ich hätte sie bitten können, bei mir auf dem Sofa zu übernachten. Das tat sie öfter. Aber ich glaube, wir hatten einander doch etwas verletzt.
    Ich lag noch lange wach, nicht zuletzt wegen dieses verdammten Dackels. Monty hieß das Vieh, nach dem englischen General Montgomery. Sogar das vornehme Oud- Zuid-Viertel hatte also seine heimlichen Rebellen, die wussten, wie man die deutsche Obrigkeit listig hinterging. Warum musste das Vieh ausgerechnet an jenem Abend Junge bekommen? Und warum musste der Nachbar sie noch am selben Abend in einen Jutesack werfen, um sie in der Herengracht zu ertränken? Das Gejaule der Mutter war dermaßen erbärmlich, dass ich hoffte, der Nachbar würde die Mutter mit ihrem Nachwuchs vereinen. Das wäre für alle das Beste gewesen.
    Am Tag darauf war ich so müde, dass ich mich mittags hinlegen musste. Laster, die halten. Laut geöffnete Ladeklappen. Soldaten, die mit klappernden Stiefeln durch die Straßen marschieren – bei einer Razzia konnte ich mir alles Mögliche vorstellen, doch der Lärm drang nicht bis zu mir durch. Hätten sie nur gegen die Türen gehämmert! Dann hätte ich noch eine Chance gehabt. Bewusst oder unbewusst war ich darauf immer gefasst gewesen, aber nein, sie drückten auf die Klingel. Die war ziemlich laut eingestellt wegen Jannetjes Schwerhörigkeit. Ich fuhr hoch. Noch im Halbschlaf stolperte ich zur Tür. Durch den Briefschlitz hörte ich das Flüstern meiner alten, lieben, hilfsbereiten Nachbarin mit dem Dackel.
    »Meneer Hoffmann! Eine Razzia!«
    Ich konnte hören, wie sie zur Seite geschubst wurde. Die Briefschlitzklappe fiel zu und ging sofort wieder auf.
    Mitkommen!
    4
    Ich spürte eine warme Frauenhand auf meiner Wange. Es war der Engel im grauen Mantel, und mir fiel auf, dass sie mir ihren Namen nicht genannt hatte. Selbst wenn sie schlief, besaß sie eine Anmut, die dieser Reise beinahe etwas Surreales verlieh. Ich lehnte an ihrer Schulter. Erst jetzt merkte ich, dass sie ihren Mantel zur Hälfte um mich gelegt hatte. Ich schmiegte mich noch etwas mehr an sie, vermeintlich im Schlaf. Sie atmete schwer. Auf ihrer rechten Wange prangte unweit ihres Mundes ein Muttermal.
    Sie zog ihren Arm zurück und drehte sich um. Sie schien durchzuschlafen. Vorsichtig legte ich ihr den Mantel wieder über ihre Schulter.
    Das erste Morgenlicht drang durch den Lüftungsschlitz und die Ritzen zwischen den Wandbrettern. Ich versuchte, mich auszustrecken, was in dem schaukelnden Waggon allerdings nicht möglich war, ohne andere anzurempeln. Schließlich stand ich auf, um zu pinkeln. Schlurfend bahnte ich mir mühsam und umständlich einen Weg durch die schla fende Menschenmenge zu bahnen. Vor der Tonne öffnete ich meinen Hosenschlitz und sah zu, wie mein Urinstrahl den Schmutz auseinandertrieb.
    Otto saß dicht daneben. Er lachte und klopfte auf sein Album: Ob ich seine Briefmarken sehen wolle? Ich setzte mich neben ihn. Behutsam schlug der Junge das Buch auf und strich über das Büttenpapier, als wäre es eine kostbare Bibel. Ich musste mich anstrengen, um sie erkennen zu können, denn die Marken lagen Seite an Seite unter Seidenpapier, bunt und aus allen Ecken der Welt. Mit jeder Seite, die er umblätterte, schien seine Begeisterung zu wachsen. Er zeigte auf einen seltenen Fehldruck aus Niederländisch-Indien. Der sei viel wert, flüsterte er stolz. Wie sonderbar, dass selbst Makel wertsteigernd wirken konnten.
    Deutsche Briefmarken besaß er ebenfalls. Deutsches Reich mit dem Porträt Hitlers. Sie hatte er ganz hinten im Buch versteckt. Seine Mutter wollte nicht, dass er die Marken sammelte, aber er musste und würde seine Sammlung vervollständigen. Mein
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