Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition)
Autoren: Pieter Webeling
Vom Netzwerk:
die Toilette«, sagte sie. Wir bildeten, so gut es eben ging, einen kleinen Halbkreis und wandten uns ab – so viel Anstand besaßen wir noch. Verstohlen schaute ich, ob sie Hilfe brauchte. Sie zog forsch Rock, Unterrock und Unterhose herunter und setzte sich auf die hölzerne Tonne. Die wackelte, blieb aber stehen. Ich fand sie tapfer.
    »Kein Papier!«, rief sie.
    Max fasste in seine Innentasche und griff nach einem Blatt Papier. Er reichte es nach hinten, ohne sich umzudrehen.
    »Danke!«
    »Das war mein Protokoll«, murmelte er.
    »Eine wichtige Besprechung?«, fragte ich.
    Die alte Frau zog ihre Kleider hoch. »Ihr könnt euch wieder umdrehen«, rief sie fröhlich. Als ich mich zurück auf meinen Platz setzte, sah ich, dass die vornehme Dame heimlich Parfum versprühte.
    Kurz darauf fuhr der Zug wieder an. Die meisten dösten an ihre Koffer gelehnt oder versuchten es zumindest. Endlich fuhren wir weiter, und ich konnte nur hoffen, dass uns die Dunkelheit ausreichend Schutz gegen die Angriffe englischer Jagdbomber bot.
    Mit jedem Meter wurde ich tiefer in den Krieg hineingezogen. Zumindest fühlte es sich so an. Angefangen hatte alles mit Klara. Sie wohnte und arbeitete direkt gegenüber in einer Dachwohnung in der Johannes Verhulststraat. Klara … Aus irgendeinem Grund waren wir nie zusammen ins Bett gegangen, was mir nur recht war. Eine Affäre wäre für mich, den Untergetauchten, auch viel zu gefährlich gewesen: Eine enttäuschte Frau ist zu allem imstande. Dann wären sämtliche Bemühungen wichtiger Leute aus der Kulturpolitik, die mich, den »Halbjuden«, zu beschützen versuchten, vergebens gewesen.
    Klara war Bildhauerin. Sie hatte eine hohe Stirn, einen schmalen Körper und einen etwas krummen Rücken – als besäße sie wie ihre Skulpturen ein Gerüst aus doppelt gedrehtem Kupferdraht. Sie war schlagfertig und zynisch. Mit boshaftem Vergnügen machte sie mit allem kurzen Prozess, was pompös und prätentiös war: Einer korpulenten Gestalt mit Zigarre und Spazierstock, die an einen Bankier erinnerte, setzte sie einen Schweinskopf auf. In den fünf Monaten, die ich sie kannte, hatte ich besonders ihren unabhängigen Geist schätzen gelernt. Ich hatte den Eindruck, dass sie alles als Kunst betrachtete. Hätte sie Lebensmittelmarken gegen schwarze Unterwäsche tauschen können – sie würde es getan haben.
    Auch ich nahm Zuflucht zur Fantasie, sammelte weiterhin Material und dachte mir Witze aus, um mich geistig fit zu halten. Meine Güte, wie ich meine Auftritte vermisste! Die ungeteilte Aufmerksamkeit, die Spannung, das Lachen. Manchmal war Jannetje, die Putzfrau, mein Publikum. Ich hatte ihr ein Porträt des Führers gezeigt, das ich vor dem Krieg in einer Vorstellung verwendet hatte.
    »Jannetje, was machen wir bloß mit dem?«
    »Sie meinen, mit Hitler, Meneer Hoffmann?«
    »Ja. Hängen wir ihn auf oder stellen wir ihn an die Wand?«
    Ich wollte nicht irgendwo in der Provinz untertauchen, sondern in Amsterdam bleiben. Auf dem Dachboden hatte ich das perfekte Versteck: einen kleinen Raum hinter einer Trennwand, die durch einen verbeulten Überseekoffer, eine alte Matratze und eine Wand aus verstaubten Büchern verborgen wurde. Normalerweise hätte mich hier niemand gefunden. Bei einer Razzia würden Jannetje oder Klara aussagen, ich sei vor mehreren Tagen ausgezogen.
    Ich war Klara dankbar. Unsere langen Gespräche über Gott, die Kunst, den Tod und solche Dinge boten mir eine willkommene Abwechslung. Gestern Abend hatte sie einen Topf Kohlsuppe mitgebracht. Hinter verdunkelten Fenstern und im Schein einer Öllampe diskutierten wir darüber, ob Gott Humor habe. Klara vermutete das Gegenteil, was mich nicht sonderlich erstaunte: Seit sie sich von ihrer strengen evangelisch-reformierten Familie gelöst hatte, spuckte sie generell auf Gläubige, ganz besonders jedoch auf Evangelisch-Reformierte aus Ede.
    Klara fand es einfach menschlich, allem etwas Komisches abgewinnen zu können. Das sei unser Trumpf, so Klara, Humor sei gleichbedeutend mit Denkfreiheit. Unser ach so heiliger Gott regiere, indem er Angst und Schrecken verbreite. Gelächter störe die Gottesfurcht und sei somit nicht erwünscht.
    »Hast du ab und zu in der Bibel gelesen?«
    »Ja, manchmal.«
    »Und? Macht Gott Witze?«, fragte sie.
    » Es ist besser, im Winkel auf dem Dach zu sitzen, denn bei einem zänkischen Weibe in einem Haus beisammen. Das ist aus den Sprüchen, glaube ich.«
    Sie sah mich böse an.
    »Das ist doch witzig«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher