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Das Lachen und der Tod (German Edition)

Das Lachen und der Tod (German Edition)

Titel: Das Lachen und der Tod (German Edition)
Autoren: Pieter Webeling
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ihm hatte ich früher immer vor der Vorstellung neue Witze ausprobiert. Wenn Joop nicht lachte, taugte der Witz nichts, so einfach war das. Er eilte mit offenen Armen auf mich zu.
    »Meneer Hoffmann, Meneer Hoffmann!« Er nahm meine Hände und schüttelte sie energisch.
    »Wie geht es Ihnen? Sie waren in so einem Lager für die Juden, stimmt’s? Wie … wie war es da?«
    »Was soll ich sagen, Joop. Atemberaubend.«
    »Das würde ich Ihnen nur zu gern glauben. Erst heute habe ich zu Sjaan, meiner Frau, gesagt, es ist wirklich ein Wunder, dass Sie wieder da sind. Und … ich habe Sie schon gehört. Sie haben sich eingesungen. Ein Liebeslied. Aber warum ausgerechnet auf Deutsch?«
    »Das war Pflicht im Lager. Befehl von den Deutschen.«
    Er seufzte. »Aber Sie haben so richtig von Herzen gesungen, als würden Sie es jemand ganz Bestimmtem widmen. Das ist immer das Schönste, nicht wahr? Wenn alles einem wirklichen Menschen aus Fleisch und Blut gilt.«
    »Vielleicht war dem ja so.«
    Er sah mich ungläubig an. »Nein … Ach, haben Sie eine Frau? Das muss ich Sjaan erzählen. Kenne ich sie?«
    Ich schüttelte kurz den Kopf.
    Joops Miene verdüsterte sich. »Das heißt, sie kommt auch aus dem Lager, Meneer Hoffmann?«
    2
    Als ich sie zum ersten Mal sah, war ich kurz zuvor benommen und blutend in einen Viehwaggon gestoßen worden. Drei Männer hatten mich auf dem Bahnsteig mit Knüppeln und Gewehrkolben verprügelt. Ich landete ziemlich unsanft auf dem Boden, der mit einer Mischung aus Chlorkalk und Wasser bedeckt war. Ein beißender Geruch stieg mir in die Nase. Ich beanspruchte das letzte bisschen Platz, die anderen wurden schon an die Wände gequetscht. Ich war von grauen, schweigenden Gestalten umzingelt. Eine von ihnen kniete neben mir. Ich versuchte nach oben zu schauen, aber mein Kopf war zu schwer. Sie lächelte. Ich schloss die Augen, und mit einem Mal waren das Geschrei, das Gezeter, das Gebell und Gejammer, ja sämtliche Geräusche um mich herum, verstummt.
    Es war der dritte Sonntag im Februar 1944, um kurz nach vier, und es war eiskalt. Nachdem die Waggontür verriegelt worden war, fiel nur noch ein Streifen Licht durch den Lüf tungsschlitz. Ich schleppte mich an den Rand und zog die Knie an. Im Dämmerlicht suchte ich nach der Frau. Sie saß jetzt dicht neben mir, trug einen dicken Wollschal um den Hals und einen grauen Mantel. Sie war schön mit ihrem dichten, langen dunklen Haar.
    Mir dröhnte der Kopf. Vorsichtig richtete ich mich auf. Wie viele Menschen waren in diesen kleinen Raum gezwängt worden? Bestimmt siebzig, achtzig. Die meisten hatten Taschen und Koffer dabei, auf denen sie sitzen konnten. Ein Baby schlummerte in den Armen seiner Mutter – nur sein zer knittertes Gesichtchen schaute unter einer Wolldecke hervor. Es sah sich gelassen um, scheinbar unberührt von seinem Schicksal oder dem der anderen.
    In der Nähe standen zwei Holzfässer mit eisernen Beschlägen. Eines davon war mit Trinkwasser gefüllt, darin befand sich eine Schöpfkelle. Das andere war leer und vermutlich für Kot und Urin gedacht.
    Ein älterer Mann mit grauem Backenbart stützte sich mit beiden Händen auf seinen Elfenbeinstock. Selbst in dem Ge dränge fiel auf, wie viel Platz er einnahm. Er trug keinen Man tel. Mit seinem schwarzen Maßanzug und seiner Krawatte sah er so würdevoll aus, dass seiner Anwesenheit ein Missverständnis zugrunde zu liegen schien. Er zitterte – entweder wegen der Kälte oder wegen dieser Zumutung. Der Ärmel seines Sakkos war eingerissen, sein Ellbogen blutete, aber er achtete nicht darauf.
    Ein kurzer, schriller Pfiff. Dann noch einer, diesmal ein lang gezogener. Als sich der Zug mit einem Ruck in Bewegung setzte, wäre ich mit dem Hinterkopf beinahe gegen die Wand geknallt. Der vornehme Herr im schwarzen Anzug verlor kurz das Gleichgewicht. Die Menschen wurden noch dichter zusammengedrängt, doch niemand konnte umfallen. Wir befanden uns im fünften oder sechsten Waggon, wenn ich mich recht erinnerte, aber selbst von hier aus war das Zischen, Schnaufen und Stampfen der Lokomotive gut zu hören. Mir schien es sinnlos, sich über unser Reiseziel Gedanken zu machen, denn alle Weichen waren falsch gestellt.
    »Hoffentlich fahren wir nach Polen«, sagte ein Junge in meiner Nähe fröhlich. Ich stieß die anderen zwischen uns sacht zur Seite, um ihn genauer betrachten zu können. Er trug eine graue Schiebermütze und war etwa sieben, acht Jahre alt.
    »Warum willst du nach Polen?«, fragte
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