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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Autoren: Gisbert Haefs
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Halbinsel Pelješac) Sabbioncello nennen, vom immer noch venezianischen Curzola trennt. Goran sagt »Korcula« und verflucht Venedig. Venedig, trotz aller Rückschläge immer noch mächtig, drüben gewissermaßen zu sehen, in Reichweite und doch für mich unerreichbar.
    Keine zwei Jahre sind vergangen, seit Bellini mich Anfang 1538 in der Druckerei aufsuchte. In der Geschäftsstube, genauer. Aus den Werkräumen drang das übliche Gemenge aus Gemurmel, Rascheln und Klappern. Es roch nach Staub, Leim und Farbe. Bellini schnüffelte, als wolle er die Gerüche zerlegen und feststellen, ob nicht darunter doch ein Hauch von Wein sei. Er musterte die Stapel frischer Bögen, die ich am Vortag mit dem Boot von der Papiermühle in Mestre hergebracht hatte, sah mich an und deutete auf einen Stuhl.
    »Ist das der Platz für unerwünschte Gäste?«
    »Wieso unerwünscht? Selten, aber nicht unwillkommen. Setz dich.«
    »Du weißt ja nicht, was ich von dir will.«
    »Ich habe es zu einer gewissen Geläufigkeit im Neinsagen gebracht.«
    Er lachte und ließ sich nieder. »Das stimmt. Beim ersten Mal hier warst du nicht sehr gesprächig, aber dafür hast du prächtig geblutet.«
    »Unsere Vorstellungen von Pracht sind ziemlich verschieden. Wein?«
    Er nickte, und während ich zum Regal ging, dachte ich an jenen ersten Besuch – an die beiden Totschläger in der dunklen Gasse, an die Verletzungen, den Weg zu Lauras Druckerei, gestützt auf Bellini, der einen Brustpanzer trug, Lauras Hände und das blutbesudelte Papier auf dem Boden ... Ich zog den umwickelten Holzpfropfen aus der Flasche und goß zwei Becher voll.
    »Was führt dich her?«
    Bellini trank einen Schluck. »Sollen wir nicht zuerst noch ein bißchen um die Dinge herumreden?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Schluck den Wein und spuck die Wörter.«
    »Na gut.« Er machte eine Pause, als müsse er Wörter wägen und zählen. »Die Serenissima ist in Gefahr und bedarf deiner Hilfe«, sagte er dann.
    »Die Serenissima hat mehr als genug tüchtige Hände. Nicht zuletzt deine.«
    Er grunzte leise. »Meine werden hier gebraucht. Und dort, wo deine kräftigen Finger viel Gutes tun könnten, haben wir keine Hände.«
    Ich lehnte das Gesäß an die Tischkante. »Wo hättet ihr denn keine Hände? Eure Pfoten sind doch überall, von England bis Armenien.«
    »Irgendwo dazwischen gibt es ein paar Gegenden, aus denen wir die Hände haben zurückziehen müssen.« Er betrachtete seine Finger; dann strich er sich mit der Rechten das üppige Haar aus der Stirn.
    »Zum Beispiel wo?«
    Er seufzte. »Kannst du dir wohl denken. Du weißt doch, was um das Meer herum geschieht.«
    »Es war ja lange genug ruhig.«

    Im Rückblick erscheint es mir beinahe unglaubwürdig, daß so lange so wenig geschehen sein soll und danach in so kurzer Zeit so viel. Als ich den ersten Bericht für Bellini beendete und mein Heim fand, war der Herbst des Jahres 1531 schon fast vorüber. Laura nahm mich auf, die Kinder mußten sich an mich gewöhnen – den Vater, den sie nie zuvor gesehen hatten. Und ich gewöhnte mich an waffenlose Seßhaftigkeit, an eine Familie, an Geschäfte und venezianische Umgangsformen.
    Laura war damals achtundzwanzig, jung und strahlend; ich war siebenundzwanzig und fühlte mich wie fünfzig, aber mit jedem Monat in ihren Armen fiel ein Jahr der Plagen und des Mordens von mir ab – ein Vorgang der angenehmen Verminderung, de zum Glück endete, ehe ich rückwärts hüpfend das Knabenalter erreichte. Die Zwillinge wurden im Oktober 1531 zwei Jahre alt; ich habe irgendwann ausgerechnet, wann wir gleichaltrig sein würden, wenn meine innere Verjüngung weiterginge, weiß aber nicht mehr, zu welchem Datum ich gelangte.
    Fast sechzigtausend Goldgulden hinterließ mir mein Vater bei den Fuggern und Welsern. Ich hatte alles von Augsburg nach Venedig übertragen; in Zechinen umgerechnet, waren mir nach den Jahren der Reisen und der Rache etwa zwei Drittel geblieben, an die fünfunddreißigtausend Zechinen. Alles andere, dazu mein Anteil an den Schätzen, die ich und ein paar Gefährten einer Mörderbande in den Wirren der Plünderung Roms abgenommen hatten, war aufgezehrt worden – leben, überleben, Bestechungen, Fahrten ... Da eine gewöhnliche Familie mit etwa hundert im Jahr bescheiden leben kann, fühlte ich mich immer noch reich und frei von der Pflicht oder Versuchung (falls es da einen Unterschied gibt), den Besitz zu mehren.
    Das Haus auf dem Festland, in Mestre, hatte ich Jahre zuvor
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