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Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)

Titel: Das Labyrinth von Ragusa: Roman (German Edition)
Autoren: Gisbert Haefs
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gekauft und Laura überschrieben, die nebenan die Papiermühle samt einem weiteren Haus und in Venedig die Drukkerei besaß. Wir haben nie ausgerechnet, wer von uns mehr wert sei; wozu auch? Ein kluger Mann hat einmal geschrieben, er wünsche an jedem Abend den Moment des vergangenen Tages zu wissen, da sein Leben den geringsten Wert hatte; das ist, wenn Reinheit der Absichten und Sicherheit des Lebens Geld wert seien, er am allermeisten würde gegolten haben. Wert sein, gelten – für wen? Für die Nachbarn? Die Steuereintreiber? Die Stadt? Die Kinder? Die Inquisition?
    Um von dieser unbehelligt zu bleiben, ließen wir uns kurz nach meiner Heimkehr trauen. Wir zahlten Steuern und Abgaben, bedachten die Armen und die Kirche – Laura tat letzteres, weil sie es wollte; ich tat es, um von den Schwarzröcken in Ruhe gelassen zu werden.
    Ruhe: ein seltsames Gefühl, ein Zustand, an den ich mich erst gewöhnen mußte. Keine Rücksicht auf die Welt zu nehmen, die keine Rücksicht auf uns nahm ... Im Ghetto, wo ich einen jüdischen Geschäftsfreund besuchte, erfuhr ich 1532 vom »Religionsfrieden«, den Kaiser Karl und die deutschen Protestanten in Nürnberg eingegangen waren; er richtete sich nicht nach innen, sondern nach außen, gegen die Türken, und er nützte weder den Juden noch sonst jemandem innerhalb der Städte. Der Admiral Andrea Doria plünderte für den Kaiser die türkische Küste, und 1534 vergaßen die Venezianer, daß sie im Frieden mit dem Osmanischen Reich lebten: Sie überfielen osmanische Schiffe und klagten bald darauf laut, als die Türken nach den Inseln griffen, die Venedig im östlichen Mittelmeer zu besitzen wähnte. Der Tanz mit wechselnden Partnern ging weiter: Papst, Kaiser, Frankreichs Franz, Venedig, Englands Heinrich, heute miteinander, morgen gegeneinander verbündet. Des Sultans Admiral Khaireddin, den wir Barbarossa nannten, ließ neue Schiffe bauen und nahm Tunis ein; damit besaß der Sultan nun ganz Nordafrika. François I. schickte Jacques Cartier aus, Nordamerika zu erkunden; Karl V und Andrea Doria eroberten 1535 Tunis; ein Jahr darauf unternahm der Kaiser einen Versuch, die Provence dem Reich anzugliedern, und François griff daraufhin die spanischen Niederlande an und besetzte Savoyen und Piemont. Zugleich schloß er – das hörten wir erst später – ein geheimes Abkommen mit dem Sultan; ein Jahr darauf besiegte Barbarossas Flotte die Flotte des Reichs und plünderte Italiens Küsten.
    Venedig rüstete, weil der Seehandel, von dem die Serenissima lebte, fast zum Erliegen gekommen war; der Papst rüstete, François und Karl ebenfalls, die Kinder wurden größer, Lauras Geschäfte gingen trotz allem gut, wir verbrachten einige Monate in den Bergen, bis die Pest in Venedig abgeklungen war, ich spielte hin und wieder auf der Fiedel und focht mit seßhaft gewordenen Kämpfern, um nicht zu schnell alt und steif zu werden, und Laura beteiligte sich daran: Sie wollte mit Messer und Degen umgehen können, weil es ihr, wie sie sagte, Vergnügen bereitete; es sei eine Art Tanz, und da ich nicht gern tanzte, sei dies die einzige Möglichkeit, sich mit mir in einer Art Reigen aufrecht zu balgen. Dann lächelte sie auf jene Art, die mich immer dazu brachte, sie sofort zum waagerechten Reigen zu bitten. Am nächsten Tag beschaffte ich zwei der neuen spanischen Degen aus wunderbarem Toledo-Stahl – Stechdegen, deren Spitze durch ein Stückchen Kork oder einen Ball unschädlich gemacht werden konnte. Ich zog mein gutes altes Nahkampfschwert mit scharfer Spitze und scharfer Schneide vor, den Haudegen, aber für den aufrechten Reigen mit Laura nahm ich natürlich die neue, gesicherte Waffe.
    Es war wenig geschehen für Laura und mich, nicht für die Welt; aber wen kümmert die Welt, wenn es ihm erträglich geht? Jener Dichter, den ich eingangs erwähnte, hat mir gesagt, er könne nur dann bewegende Verse schreiben, wenn er unglücklich sei. Hungrig, verzweifelt, aussichtslos verliebt. »Denk an Dante«, sagte er. »Wen interessiert sein Paradies? Ein langweiliger Ort; aber die Hölle ... Wir alle brauchen ein bißchen Hölle, auch wenn nur wenige darin so groß werden wie Dante.« Mag sein, daß er recht hatte. Rings um Venedig war in diesen für uns ruhigen Jahren jederzeit genug Hölle, aber wir konnten uns in einem kleinen alltäglichen Paradies aufhalten. »Ruhig?« Bellini verzog das Gesicht. »Es mag dir so vorgekommen sein, aber ruhig war es nie, mein Freund.«
    »Ich war lang genug in
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