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Das Kriegsbuch

Das Kriegsbuch

Titel: Das Kriegsbuch
Autoren: James Sallis (Hrsg)
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»Sind Sie dort gewesen?«
    »Ich bin dort in der Nähe geboren, und wir haben uns da immer umgesehen und nach Dingen gesucht, die wir vielleicht gebrauchen konnten.«
    »Und was machen Sie jetzt hier?«
    »Weed hat mich vor langer Zeit entführt. Er brachte mich hierher, weil er dachte, hier wären wir weit genug im Norden, um vor den Banden sicher zu sein. Wir haben nicht angenommen, daß man noch weiter nördlich leben kann.«
    Ted vertilgte seine letzte Kartoffel und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. »Das ist genug«, sagte er. »Ich möchte jetzt schlafen.«
    Er stand auf und begann die Kleidung, die überall in den beiden Räumen herumlag, zu einer Lagerstatt vor dem Ofen zusammenzutragen. Saura war überrascht; sie hatte damit gerechnet, daß er im Bett schlafen wür de, Sie wartete auch darauf, daß er das verlangte, denn dann wollte sie ihm sagen, daß er bei Verie schlafen müßte, weil ihre Füße angesengt waren und sie sich nicht wie üblich vor dem Herd hinlegen konnte. Dabei erkannte er dann vielleicht, wie nett sie war, und blieb. Daß er blieb, war jetzt noch wichtiger, als es bei Weeds Überleben gewesen wäre. Saura ging ins Wohnzimmer und blies eine Kerze aus. Sie nahm Ve ries Bettzeug, brachte es zum Ofen und legte es auf die Sachen, die Ted schon zurechtgelegt hatte. »Verie schläft sonst hier, bis wir aufstehen, und kommt dann erst in den Schlafraum«, sagte sie. »Sie hat noch mit keinem Mann geschlafen.«
    Ted sah von seiner Arbeit auf und lächelte, doch er sagte nichts.
    Sie hielt die zweite Lampe hoch, während er zwischen die Decken kroch. Als nur noch sein Kopf zu sehen war, löschte sie das Licht.
    Saura stellte die Lampe auf das Brett neben der Schlafraumtür, aber anstatt selbst ins Bett zu gehen, blieb sie stehen und wartete darauf, daß sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Der Fremde gab ihr Rätsel auf. Sie wünschte, er hätte King nicht umgebracht. Bei Knifeson wäre ihr das gleichgültig gewesen. Sie kam irgendwie nicht mit ihm zurecht; vielleicht war er wirklich schlimmer als die Bande. Sie verstand ihn nicht. Er schlug sie nicht und brüllte sie auch nicht an, und er schien weder an ihr noch an Verie interessiert zu sein. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, daß das eine Beleidigung war, aber sie wußte nicht, was sie dagegen tun sollte. Vielleicht ist er die Antwort auf mein Gebet, dachte sie. Verie hat leiden müssen, aber nur ein wenig. Vielleicht braucht Gott immer ein wenig Zeit. Saura erinnerte sich nur an eini ge der Dinge, die ihre Mutter ihr über Gott erzählt hatte, und sie täuschte auch kein Verständnis vor. Vielleicht mußte man sehr lange beten, ehe man das Gewünschte erhielt – um sicherzustellen, daß man es bekam. Der Mann mußte also von Gott gesandt sein. Immerhin kam er angeblich aus dem Norden, und das war unmöglich, weil es da oben einfach zu kalt zum Leben war. Sie erinnerte sich noch deutlich an Weeds Ermahnung, als sie sich entschlossen, den Hof hier zu übernehmen.
    In dem Licht, das durch die Ritzen der Herdtür drang, sah sie Teds Gestalt unter den Decken. Sie frag te sich, ob sie ihn wohl umbringen konnte, solange sie noch die Gelegenheit dazu hatte. Es ließ sich nicht vorhersehen, was er in einem Anfall von Wut tun wür de. Ihre Augen gewöhnten sich immer mehr an das Dunkel, bis sie fast genausogut sehen konnte, als wenn die Lampe gebrannt hätte. Wenn sie ihn umbrachte, konnte sie das Pferd und auch Weed hereinholen. So ein Pferd gab viel Fleisch her. Es war überhaupt das erste Reitpferd, das sie zu Gesicht bekam, obwohl sie gehört hatte, daß irgendwo im Osten viele Wildpferde frei herumliefen.
    Er hatte ihr und Verie das Leben gerettet, dachte sie. Aber das wollte nicht viel heißen. Er hatte King umge bracht, den Besten der Bande. Sie hatte jetzt die Chan ce, den letzten Mann loszuwerden, der ihr Schwierigkeiten machen konnte. Sie schaute in die Küche hinüber, wo sie ihre beiden Messer verbarg. Das eine hatte eine dreißig Zentimeter lange Klinge – das mußte sie nehmen. Haß stieg in ihr auf. Sie hörte wieder die längst verstummten Schreie ihrer Mutter, die von einer Bande rücksichtslos mißbraucht wurde. Saura hatte ihr helfen wollen, war dann aber doch in ihrem sicheren Versteck geblieben. Sie machte einen Schritt auf ihre Messer zu. Sie hatte zugesehen bei Vergewaltigung und Tot schlag, und ihr Herz begann schneller zu schlagen, als sie beim Abzug der Bande den großen Augenblick der Flucht noch einmal
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