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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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musste, war inzwischen grau und ausgedünnt. Die Krankheit, die ihn plagte – Zuckerkrankheit nannten es die Ärzte –, hinterließ auch auf seinem Schopf Spuren. Der Gedanke, dass Böttger jemanden mehr geliebt und verehrt hatte als seinen Dienstherrn, den Kurfürsten, entfachte in August die Eifersucht.
    Er erhob sich von seinem Stuhl, legte das Heft aber nicht beiseite, als fürchte er, dass eine Ratte kommen und es mit sich schleppen könnte. Er nahm es mit sich zum Fenster. In dem See, der sich vor dem Schloss erstreckte, spiegelten sich die Lichter der zahlreichen Fenster und wetteiferten mit der Mondsichel, die hoch über allem stand.
    Mit diesem einmaligen Ausblick konnten Frauenherzen geöffnet werden, doch August blickte nicht auf das Lichtspiel dort draußen, sondern auf sein eigenes Gesicht.
    Er hat die Goldmacherei aufgegeben, erkannte der Kurfürst. Selbst wenn ihm mehr Zeit vergönnt gewesen wäre, hätte er sie nur noch mir zuliebe durchgeführt. Es würde niemals goldene Berge geben, niemals Sorglosigkeit für Fürsten, denen das Geld knapp wurde.
    So sprach denn auch die letzte Seite des Heftchens keineswegs vom Goldmachen:
    Ich fühle meine Kräfte stetig schwinden. Falls ich nicht mehr in der Lage bin, jemandem meinen letzten Wunsch mitzuteilen, will ich ihn an dieser Stelle niederschreiben.
    Bringt die Porzellanscherbe, die ihr bei dem Heft findet, nach Oranienburg. Im Westen der Stadt, mitten im Wald, gibt es ein scheinbar verlassenes Gehöft. Sagt der Frau, die dort lebt, dass ich sie immer geliebt habe und dass mein letzter Gedanke ihr galt.
    Ihr Name ist Annalena Habrecht.
    Der Kurfürst war perplex. Der Name brachte ihm das Gesicht einer Frau vor Augen, die er flüchtig gekannt und in die Dienste seiner Türkin gestellt hatte. Sie war es also, die Böttgers Herz besessen hatte. Sie war sein wahres Gold. Ein anderes gab es nicht.
    Diese Erkenntnis brachte ihn dazu, das Heftchen wutentbrannt in den Kamin zu schleudern, der nur noch schwach glomm. Er rechnete zwar damit, dass das Feuer durch die neue Nahrung noch einmal entfacht werden würde, doch plötzlich schoss eine Stichflamme über dem Papier hervor. Als hätte der Teufel in den Seiten gesessen und sei nun befreit worden, brannte sie so grell, dass der König zurückweichen und seine Augen beschirmen musste, um nicht geblendet zu werden.
    Er wollte schon nach den Wachen rufen, doch er brachte kein einziges Wort heraus. Ein Frösteln durchzog ihn plötzlich, so als würde Böttgers Geist durch den Raum schweben und ihn gemahnen, ihm seine letzte Bitte nicht zu verwehren.

    Der Frühling belebte den Landstrich. Die Kälte und das Grau des Winters wichen überall neuen Farben und Gerüchen, im Wald, auf den Feldern und sogar in den Räumen des kleinen Gehöfts.
    Zufrieden blickte Annalena zum Weizenfeld hinüber, auf dem das erste Grün spross. Nicht mehr lange, und leuchtende Ähren würden sich unter einem blauen Himmel im Wind wiegen.
    Das Leben ist wie ein Mühlstein, dachte sie lächelnd. Es dreht sich unermüdlich im Kreis und endet nie – auch wenn die Menschen kommen und gehen.
    Achtzehn Jahre lebte sie nun hier, abgeschieden von der Welt und dennoch nicht ganz von ihr vergessen. Als Heilerin hatte sie sich hier niedergelassen und als solche kannten sie die Leute in einigen Dörfern und sogar in Oranienburg.
    Ihr schwarzes Haar war inzwischen von grauen Strähnen durchzogen und Falten hatten sich auf ihrem Gesicht eingegraben, aber ihre Augen waren immer noch die der jungen Frau, die einst in den Süden gezogen war, um ihr Glück zu finden.
    Erst die Rückkehr in den Norden hatte es ihr gebracht.
    Nachdem sie Dresden verlassen hatte, war sie wochenlang durch die Ortschaften in nördliche Richtung gewandert. Manchmal hatte sie gebettelt oder ihre Dienste als Heilerin angeboten. Hin und wieder hatte sich ihr eine Tür auch ohne eine Gegenleistung geöffnet. Bevor der Frühling über das Land hereinbrach, hatte sie wieder vor den Toren Oranienburgs gestanden.
    Eigentlich hatte sie vorgehabt, Seraphim nicht zu behelligen, doch die Neugierde, wie es dem Händler ergangen war, hatte sie zu seinem Haus getrieben.
    Das Kontor hatte unverändert gewirkt, doch in seinem Inneren war vieles anders geworden. Seraphim war vor einigen Monaten gestorben. Seine Frau hatte das Kontor verkauft und war fortgezogen. Nun wohnte ein anderer Kaufmann mit seiner Familie dort. Diese hatten nur verwunderte Blicke für sie übrig.
    Ihrer Erinnerung
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