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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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fester zugetreten, wäre mein Stiefel in seinem Arsch steckengeblieben.«
    Dass sie beide ebenfalls eine Abreibung bekommen hatten, schien ihnen nicht wichtig genug, um es zu erwähnen.
    Habrecht mochte es eigentlich nicht, wenn seine Söhne sich auf der Straße prügelten, aber in diesem Falle war es gerechtfertigt gewesen. Wenn die Knechte sich darüber beschweren wollten, konnten sie ja zu ihm kommen.
    Doch wahrscheinlich würden sie das nicht tun. Niemand betrat den Fronereihof freiwillig, es sei denn, auch er gehörte zu den Unehrlichen. Jene, die sich für was Besseres hielten, würden nicht herkommen.
    Und gewiss hielten sich diese beiden Knechte für etwas Besseres, wenn sie es nötig hatten, sich in einen Streit von Kindern einzumischen und ein kleines Mädchen in den Staub zu schubsen.
    »Ihr beide wisst, dass ich es nicht gern sehe, wenn ihr euch prügelt«, sagte er, damit er seiner Pflicht als Vater Genüge tat und sich nachher nicht von seinem Weib anhören musste, dass er es duldete, wenn sich seine Söhne wie die Axt im Walde aufführten.
    »Ja, Vater«, antworteten ihm die beiden im Chor und senkten schuldbewusst den Kopf.
    Natürlich wusste ihr Vater, dass es ihnen überhaupt nicht leidtat, und das war auch gut so.
    Habrecht konnte sich nur schwerlich zurückhalten, seine väterlich strenge Miene mit einem Lächeln aufzulösen. »Aber ich bin stolz auf euch, weil ihr auf eure Schwester achtgegeben und ihr geholfen habt. Geht dem Ärger aus dem Wege, aber wenn ihr angegriffen werdet oder jemand euren Schwestern etwas tut, schlagt ruhig zu. Und sagt der Mutter um Himmels willen nicht, dass ich das gesagt habe.« Jetzt lächelte er doch und fügte hinzu: »Geht und säubert euch, so kommt ihr mir nicht an den Tisch.«
    Hinrich und Joachim nickten und liefen zur Tränke, um sich den Staub abzuwaschen. Annalena hatte sich inzwischen wieder beruhigt, aber so weit, dass sie die Schulter ihres Vaters loslassen wollte, war sie noch nicht.
    »Vater, warum machen das die Leute? Warum mögen sie uns nicht?«
    Diese Worte fuhren ihm wie ein Stich tief ins Herz.
    Wie die Menschen seinesgleichen behandelten, war ungerecht, doch er konnte nichts dagegen tun. Als er noch jung war, hatte er oft damit gehadert, warum seine Wiege nicht in einem anderen Haus gestanden hatte. Er war enttäuscht gewesen, weil man ihm seine Arbeit mit Schimpf vergalt. Mittlerweile hatte er es akzeptiert und hoffte, dass Gott erkannte, dass er im Grunde seines Herzens ein guter Mann war. Dass seine Tochter den Lauf der Dinge genauso unbarmherzig erfahren musste, machte ihn traurig.
    Er strich ihr zärtlich übers Haar und antwortete: »Sie fürchten, eines Tages unter unser Schwert zu kommen. Sie fürchten, dass uns die Geister der Toten verfolgen und ihren Zorn auch auf sie lenken könnten. Aber du darfst dir nichts daraus machen. Du bist Gottes Kind wie jedes andere auch. Lass dir von niemandem einreden, dass du schlechter bist als sie! Lass nie ein Unrecht zu, das dir zugefügt werden soll. Du magst als Tochter eines Henkers geboren sein, aber wir sind jene, die über die Gerechtigkeit wachen! Und so dürfen wir auch kein Unrecht uns gegenüber dulden.«
    Annalena nickte und wischte sich dann mit einer ungelenken Handbewegung über das Gesicht. Schmutzig und mit Tränen in den Augen bot sie einen Anblick, der den Henker zutiefst rührte.
    »Hast du Lust, auf meinen Schultern zu reiten?«, fragte Habrecht, nachdem er ihre Wangen gestreichelt hatte. Das Mädchen nickte und juchzte auf, als er sie auf seine breiten Schultern hob.
    Dass dies nur ein vorübergehender Trost war, würde sie schon bald erfahren.

Erstes Buch Henkersleben
    Walsrode, Frühling 1701
    1. Kapitel
    D as heisere Krähen der Nachbarshähne riss Annalena Mertens aus dem Schlaf. Unwillig strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und öffnete die Augen. Ihr Blick streifte über die niedrige Decke der Schlafkammer, auf die das Morgenlicht einen hellen Fleck malte.
    Brennende Schmerzen auf ihrem Rücken vertrieben die letzten Reste von Müdigkeit und holten die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück.
    An die Peitsche.
    Wie so oft hatte Mertens sie gezüchtigt, und wie so oft war sie weinend vor Schmerz und Erniedrigung eingeschlafen. Früher hatte sie in den ersten Momenten nach dem Aufwachen noch geglaubt, dass alles nur ein schlechter Traum gewesen sei. Heute blieb ihr nicht einmal mehr diese Erleichterung. Es war die Wirklichkeit ihres Lebens, die mit jedem
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