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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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Henker sie nicht gleich mit dem ersten Hieb tötete.
    Als der Henker das Beil hochriss, raunte die Menge auf und alles wurde still, bis die Klinge niedersauste. Das Beil traf das Genick, durchtrennte es und bohrte sich dann in den Richtblock. Der Körper zuckte kurz zusammen und der Kopf rollte Blutspritzer verteilend über das Podest. Die Zuschauer sprangen zurück.
    Im selben Moment erstarrte Annalena. Mertens hatte sie unter den Zuschauern ausgemacht!
    Sein eisiges Grinsen traf sie wie ein Peitschenhieb und schnürte ihre Kehle zusammen. Panisch wirbelte sie herum und drängte sich durch die Menge, die zusah, wie man den toten Körper fortschleifte, um ihn in einen grobgezimmerten Sarg zu legen.
    Ein paar Unmutsbekundungen wurden laut, doch das war ihr egal. Mertens Blick hatte ihre Wunden wieder zum Brennen gebracht, sie konnte es einfach nicht ertragen.
    Erst, als sie den Marktplatz hinter sich gelassen hatte und in eine Seitengasse eingebogen war, blieb sie keuchend stehen. Schweiß rann von ihrer Stirn und ihre Schläfe pochte. Annalena presste die Hand darauf und versuchte, dem Schmerz Einhalt zu gebieten.
    »Mädchen, was ist mit dir?«, hörte sie hinter sich eine Frauenstimme. Es war die Witwe Gennings, die wieder mal aus dem Fenster schaute, weil ihre vom Wasser geschwollenen Beine ihr nicht erlaubten, nach draußen zu gehen. Vor lauter Angst hatte Annalena nicht mitbekommen, dass sie vor ihrem Haus stand.
    »Nichts, es ist nichts«, antwortete sie schnell. »Ich fühle mich nur ein wenig fiebrig.«
    Während sie sprach, vermied sie es, der alten Frau in die Augen zu blicken. Eine Püsterolsch sollte sie sein, die durch Zauberei Krankheiten heilte. Und sie sollte das zweite Gesicht haben. Nichts blieb ihr verborgen, und Annalena wollte nicht, dass sie mitbekam, was gerade in ihr vorging.
    »Dann solltest du dir ein Heilmittel beschaffen, mein Kind«, sagte die Alte ruhig. »Ein Mädchen deiner Herkunft müsste sich doch damit auskennen. Oder soll ich eine Kur für dich wirken?«
    Annalena verstand, was sie meinte: Sie bot ihr an, einen Fluch auf Mertens zu legen. Doch Annalena hoffte, dass ihre Seele einmal vor die Tore des Himmels gelassen würde und nicht gleich in die Hölle kam. Die Hilfe der Witwe anzunehmen wäre eine Sünde.
    »Danke, aber das ist nicht nötig. Ich werde nach Hause gehen und mir einen Sud kochen.«
    Als Annalena sie nun doch ansah, umspielte ein feines Lächeln den faltigen Mund der Alten. Ihre Augen jedoch wirkten dunkel, beinahe dämonisch, und der Rat, den sie ihr stumm gaben und der nichts mit ihrem körperlichen Unwohlsein zu tun hatte, ließ die Henkerstochter erzittern.
    Rasch ging sie weiter, und als sei sie tatsächlich von einem Zauber der Witwe berührt worden, war der Schmerz in der Schläfe auf einmal verschwunden. Der Blick der Alten brannte jedoch auf ihrem Rücken, selbst dann noch, als sie aus ihrem Blickfeld verschwand.

    An ihrem Katen angekommen scheuchte Annalena die Nachbarskatze vom Fußstein und stellte den Korb ab. Mittlerweile war ihr wohler zumute, doch der Schweiß klebte noch wie eine ungewollte Berührung an ihrer Haut und sie konnte es nicht erwarten, ihn von sich herunterzuwaschen. Plötzlich vernahm sie hinter sich eine Stimme.
    »Annalena!«
    Die Gerufene wirbelte herum und erblickte die Ratsdienersfrau Martje, die mit wehendem Rock auf sie zurannte. Sie gehörte zu den wenigen Frauen, die Annalena einen Schwatz über den Gartenzaun nicht verweigerten.
    »Hinnings Beinwunde ist ganz schwarz und er hat hohes Fieber«, keuchte Martje, als sie vor ihr stehen geblieben war.
    »Seit wann?«
    »Seit gestern Nacht. Helga dachte, dass es sich wieder geben würde, wenn er ein wenig schläft, aber es ist nur schlimmer geworden. Sein Kopf glüht wie eine Schmiedeesse.«
    Eigentlich müsste in diesem Fall der Stadtchirurgus nach ihm sehen, aber Annalena wusste, dass Martjes Schwager als Tagelöhner nicht viel Geld hatte. »Gut, ich sehe es mir an«, sagte sie also und schloss sich Martje an.
    Das Haus von Helga und Hinning war eher ein Schuppen als ein richtiges Haus. Wie so viele Gebäude an diesem Ende der Stadt teilte es sich eine Wand mit der Stadtmauer.
    Als sie durch die Tür trat, wusste sie, dass der Tod hier lauerte. Noch verkroch er sich in den schattigen Ritzen, drückte sich gegen die Wand und versuchte, nicht aufzufallen. Doch sie konnte ihn riechen. Die Luft war geschwängert vom Gestank der eitrigen Wunde. Lange würde der Schnitter seine Sense
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