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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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Nächten wie diesen einfach nicht mehr aufzuwachen. Nicht nur der Schmerz, den ihr die Peitsche zufügte, war unerträglich, auch die Verzweiflung und der Zorn über ihre eigene Hilflosigkeit setzten ihr immer mehr zu. Sie wusste, dass es so nicht bis in alle Ewigkeiten weitergehen konnte. Im Augenblick lebte sie von der Hoffnung, dass er sie in der kommenden Nacht in Ruhe ließ oder irgendwann einmal nicht mehr nach Hause kam.
    Bevor sie mit dem Waschen begann, holte Annalena das Hemd hervor, das sie nach Nächten wie diesen immer trug. Sie betrachtete die Blutflecken darauf, eingetrocknete Spuren ihres Leids, denen heute neue hinzugefügt werden würden. Sooft sie die Flecken auch mit Gallseife bearbeitete, sie würden nie rausgehen. Genauso, wie sie niemals vergessen würde, was Mertens ihr antat.
    Sie tauchte die Hände in das Wasser, benetzte ihr Gesicht, dann wusch sie ihren Oberkörper. Die Berührung des Wassers ließ sie frösteln. Ihre Brustwarzen zogen sich schmerzhaft zusammen, Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Doch als sie mit dem Lappen über die Wunden fuhr, wurde die Kälte plötzlich angenehm.
    Nachdem sie ihre Wäsche beendet hatte, warf sie sich ihr Hemd über und ging zum Fenster. Aus den dort hängenden Kräutersträußchen zupfte sie einige Zweige und Blätter, weichte sie in Wasser ein, das sie aus dem Kessel über der Esse nahm, und breitete dann alles auf einem langen Stück Leinen aus. Sie hatte sich angewöhnt, unbrauchbar gewordene Laken zu zerschneiden und als Verbände aufzuheben. Den Verband schlang sie um ihren Rücken und knotete ihn vor ihrer Brust zusammen. Als sie ihr Hemd wieder übergezogen hatte, schlüpfte sie in eines ihrer Kleider.
    Sie besaß drei Stück: eines für die Arbeit auf dem Feld, eines für den Gang in die Stadt und eines für die Kirche, obwohl sie dort nebst der Scharfrichterfamilie in einem eigenen Gestühl saß und nur wenige Leute sie ansahen. Das Stadtkleid war blau, und obwohl die Farbe vom vielen Waschen verblichen war, der Rock etliche Male geflickt und die Schnürung des Mieders schon ein wenig ausgefranst war, war es doch ihr Lieblingskleid, denn die Farbe Blau erinnerte sie an den Himmel.
    Obwohl ihre Mittel bescheiden und das Angebot auf dem Markt überschaubar war, wollte sie es sich nicht nehmen lassen, unter Menschen zu kommen und dabei so ordentlich wie möglich aussehen. Die meisten Stadtbewohner mochten sie vielleicht verachten, aber die Händler kannten sie und übervorteilten sie trotz ihres geringen Standes nicht. Außerdem war es möglich, dass Menschen Rat wegen irgendwelcher Zipperlein bei ihr suchten. Das passierte ab und an, und sie genoss diese kurzen Augenblicke der Anerkennung, wenn sie Kräuter oder Dampfbäder empfahl.
    Zuletzt flocht sie sich die Haare zu einem Zopf und setzte ihre Haube auf, die sie erst gestern geflickt hatte. Mertens hatte sie in der Nacht zuvor in die Hände bekommen und zerrissen, weil er meinte, eine Hure wie sie würde keine Haube brauchen.
    Als sie mit allem fertig war, verließ sie die Schlafstube, goss sich in der Küche ein Schälchen Milch ein, und nachdem sie es ausgetrunken und sich den Milchbart von der Oberlippe gewischt hatte, verließ sie mit ihrem Weidenkorb unter dem Arm das Haus.

    Walsrode war eine schöne Stadt, wenngleich ihr Antlitz zahlreiche Narben davongetragen hatte. Den Verheerungen des großen Krieges waren zahlreiche Brände gefolgt und die Pest hatte die Überlebenden dezimiert.
    Doch die Stadtbewohner waren zäh, wie alles Leben in der Heide. Man hatte die Trümmer beseitigt und das Rathaus wiederaufgebaut. Und wenn man auch nicht alle Lücken schließen konnte, so war Walsrode mittlerweile wieder dabei, zu alter Pracht zurückzufinden.
    Hoch über allem erhob sich der Turm der Klosterkirche, die wie durch ein Wunder vor der Zerstörung bewahrt worden war. Das Kloster bedeutete ein Stück Beständigkeit für die hiesigen Bürger. Es war ein Zeichen dafür, dass Gott schon dafür sorgte, dass sich die Welt weiterdrehte.
    Was würde ich drum geben, eine der Krähen dort oben zu sein, dachte sich Annalena mit Blick auf den Kirchturm, der von den schwarzen Vögeln umkreist wurde. Dort oben wäre ich sicher vor Mertens grundlosem Zorn.
    Aber sie wusste, dass das unmöglich war. Man schimpfte sie zwar Krähenweib und sagte ihr Hexenkunst nach, doch kein Zauberspruch ließ ihr Flügel wachsen.
    Die Luft roch frisch und nach feuchter Erde, als Annalena sich dem Marktplatz näherte.
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