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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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einzigen.«
    Plötzlich ertönte ein Knurren hinter ihr.
    Annalena wirbelte herum. Ein Wolf stand am Ufer. Ohne dass sie ihn bemerkt hatte, war er aus dem Dickicht aufgetaucht. Er war alt, groß und grobknochig. Sein Fell hatte einen hellen Grauton und seine Augen leuchteten gelb wie Bernstein. Geifer tropfte von seinen Lefzen.
    Hatte er die Tollwut?
    Annalena lachte beinahe hysterisch auf. Das Tier hatte offensichtlich großen Hunger, da war Tollwut ihre letzte Sorge.
    »Verschwinde!«, rief sie und versuchte, ruhig zu bleiben.
    Doch Wölfe witterten Furcht, und so blieb dem Tier auch Annalenas nahende Panik nicht verborgen. Ihre Zähne klapperten und ihr Herz donnerte gegen ihren Brustkorb wie ein verzweifelter Gefangener.
    Sie brauchte eine Waffe!
    Annalena überlegte nicht lange und stürmte los. Hinter sich vernahm sie das wütende Bellen des Wolfes und ein Platschen.
    Er setzte ihr nach!
    Vor lauter Panik schnürte sich ihre Kehle zu, so dass sie kaum atmen konnte. Wassertropfen spritzten auf und durchnässten ihr Hemd. Sie glaubte beinahe, den heißen Atem des Wolfs bereits im Nacken zu spüren.
    Sie rannte schneller, erwartete jeden Moment den unausweichlich scheinenden Biss. Sie erreichte das Ufer und beinahe direkt vor sich entdeckte sie einen großen Ast. Keuchend warf sie sich dem Holzstück entgegen und wirbelte herum, sobald sich ihre Finger um die rauhe Rinde schlossen.
    Der Wolf war so dicht hinter ihr, dass sie ihm unbewusst den ersten Schlag gegen den Kopf versetzte. Der Aufprall des Astes gegen den muskulösen Körper dröhnte schmerzhaft durch ihren Arm. Beinahe verlor sie ihre Waffe, doch sofort schloss sie die Hände schmerzhaft fest um das grobe Holz, rappelte sich hoch und hetzte einige Schritte zurück.
    Der Wolf war eher verwirrt als verletzt. Er schüttelte kurz den Kopf und stürmte fast im selben Moment erneut auf sie zu. Annalena stieß einen wütenden Schrei aus und hieb erneut auf den Kopf des Wolfes ein. Als sie seine Nase traf, jaulte er auf und wich zurück.
    Annalenas nächster Schlag ging ins Leere, was sie beinahe das Gleichgewicht verlieren ließ. Dann sah sie, dass der Wolf mit eingekniffenem Schwanz und ohne sich noch einmal nach seiner Beute umzusehen, davonhuschte.
    Aufstöhnend ließ sie den Ast sinken und starrte auf die Stelle, an der der Wolf im Dickicht verschwunden war.
    Die Erleichterung, überlebt zu haben, überkam sie wie eine Flutwelle. Ihre zitternden Knie wollten ihr Gewicht nicht länger tragen und sie sank zu Boden, begann zu schluchzen. Sie wusste nicht ob sie aus Erleichterung und Glück, oder aus Angst und Verzweiflung weinte. Vielleicht war es etwas von allem, und so dauerte es lange, bis ihre Tränen versiegten. Als sie sich erhob stand die Sonne schon tief am Himmel. Sie schulterte ihr Bündel und sah noch einmal zu der Stelle, wo der Wolf verschwunden war.
    Würde er wiederkommen? Würde er ihr vielleicht folgen und versuchen, sie in der Nacht zu reißen?

    Zwei Tage und Nächte, in denen sie kaum ruhte, folgten. Obwohl es bei Tag keine Anzeichen gab, dass der Wolf ihrer Fährte folgte, fand sie in der Nacht keinen Schlaf. Bei jedem Rascheln fürchtete sie, es könnte der Wolf sein. Jedes Heulen in der Ferne ließ ihr Innerstes erzittern.
    Am darauffolgenden Nachmittag, als sie fast schon glaubte, erneut hungrig schlafen gehen zu müssen, tauchte vor ihr ein Hausgiebel zwischen den Baumkronen auf.
    Staunend blieb sie stehen und starrte das Haus an, so als fürchtete sie, dass es wieder verschwinden würde, wenn sie auch nur einen Lidschlag lang den Blick abwandte.
    Sollte Gott doch ein Einsehen mit ihr haben?
    Mächtige Bäume, dichtes Buschwerk und hohes Gras wucherten ringsherum. Es schien, als wollte die Natur dieses Gehöft verstecken. Das Dach war auf einer Seite ein wenig eingefallen, dahinter reckten ein paar alte Eichen ihre Kronen in den grauen Himmel.
    Das Anwesen wirkte verlassen, und die Aussicht, für die Nacht ein Dach über dem Kopf zu haben, begeisterte sie und ließ sie trotz ihrer Erschöpfung voller Eifer durch das Gestrüpp kämpfen.
    Am Haus angekommen, erblickte sie eine Bank unter einem Fenster. Sie war aus Holz und mit Moos überwachsen. Wahrscheinlich hatte hier der Hausherr gesessen und des Abends die Sonne beim Untergehen beobachtet. Im Sonnenschein wirkte das Anwesen, so verfallen es auch war, freundlich und einladend. Dies wäre ein Ort, an dem ich bleiben könnte, dachte sie. Vorsichtig öffnete Annalena die Haustür. Die
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