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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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Kopf.
    »Ich habe dich schon lange beobachtet«, setzte die Witwe hinzu, und in den Falten ihres Gesichts zeigte sich ein Lächeln. »Scheinst ein gutes Ding zu sein, doch du hast den falschen Mann an die Seite bekommen. Er hat dich schon lange geschlagen, nicht wahr?«
    Annalena blickte sie überrascht an. »Woher wisst Ihr?«
    »Ich bin eine alte Frau, Mädchen. Meine Augen haben schon vieles gesehen. Wenn eine Frau geschändet und geprügelt wurde, hat sie diesen bestimmten Ausdruck …« Ihre Augen waren mit einem Mal wie Fenster, durch die man all die Schrecken ihres Lebens sehen konnte, wenn man es wagte hindurchzuschauen.
    »Sei es, wie es ist«, wischte die Püsterolsche das Unausgesprochene mit einer knappen Handbewegung fort. »Manchmal ist es wirklich besser, wenn man sein altes Leben hinter sich lässt. Ich sehe in deinen Augen die Sehnsucht nach einem Leben weit weg von hier.«
    Annalena konnte nicht anders, als bei den Worten ›weit weg‹ zu lächeln.
    Die Frau stellte den Salbentiegel zur Seite und half Annalena ihre Kleidung zu richten. Sie betrachtete sie kurz, dann wandte sie sich um. »Ich werde dir ein paar Sachen mit auf den Weg geben. Du wirst sie brauchen.«
    Annalena blickte ihr nach, als sie wieder hinter der kleinen Tür im Vorratsraum verschwand. Dann schaute sie zum Fenster hinaus, dessen eine Lade noch offen stand. Mondlicht fiel auf die Straße und die Häuser. Ob Mertens inzwischen wieder zu sich gekommen war?
    »Damit wirst du ein Stück weit kommen.« Das Bündel, das die Witwe ihr reichte, roch nach Schinken, Brot und Kräutern. »Weißt du, wohin du gehen wirst?«
    »Nach Süden«, antwortete Annalena, obwohl sie eigentlich noch nicht sicher war.
    »Dann komm mit. Ich weiß, wie du zu dieser Stunde aus der Stadt gelangen kannst.«
    Damit wandte sie sich der Tür zu. Annalena folgte ihr nach draußen und blickte sich nach allen Seiten um. In der Ferne erhob sich der Kirchturm finster in den Nachthimmel. Während sie durch die Gassen gingen, hielt Annalena Ausschau nach Mertens. Ihre Furcht war wie ein heißes Feuer, das erst erträglich wurde, als sie die Stadtmauer erreicht hatten.
    Viele der Häuser hier standen leer oder waren verfallen. Die Witwe führte sie schweigend zwischen zwei Gemäuer, wo sie Annalena eine kleine Pforte zeigte, die auf den ersten Blick unter dem Efeubewuchs nicht auszumachen war.
    »Hier kannst du hindurch«, sagte die Witwe, während sie die Ranken beiseite strich. »Diese Tür ist seit dem großen Krieg vergessen worden, nur wenige wissen jetzt noch davon.«
    Damit öffnete sie die Pforte. Annalena blickte in die Ferne jenseits der Mauer. Ein Wald säumte den Horizont, der Himmel erhob sich majestätisch darüber. Die Freiheit wartete.
    »Nimm meinen Segen mit auf den Weg, Henkerstochter. Möge dir von nun an ein besseres Leben beschieden sein.«
    Diese Worte begleiteten Annalena durchs Tor. Sie betrachtete die mondbeschienene Landschaft, überlegte, ob sie den Wald noch vor Anbruch des Tages erreichen konnte. Der Weg lag nun vor ihr. Er würde sie in die Ferne führen, weg von ihrer Vergangenheit.
    Annalena schulterte ihr Bündel und schritt voran.

    Als das Morgenlicht durch die Fenster strömte, kehrte das Leben in Peter Mertens zurück. Nach Luft schnappend riss er die Augen auf. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass er in seinem Haus war.
    Stöhnend und gegen den Schwindel ankämpfend versuchte er, aufzustehen und fragte sich dabei, warum er am Fuß der Treppe lag. Da entdeckte er seinen Gürtel auf dem Boden.
    »Anna?«, rief er nach seiner Frau, erhielt aber keine Antwort. Da dämmerte ihm, was geschehen war.
    Es war das erste Mal gewesen, dass Annalena sich ihm widersetzt hatte. Wahrscheinlich hatte sie sich nach dem Tritt aus dem Staub gemacht.
    Mit einem zornigen Aufschrei stürmte Mertens zur Tür. Weit konnte sie noch nicht sein. Bestimmt ist sie zu den Nachbarn gelaufen, hämmerte es durch seinen Schädel. Zu Martje vielleicht oder zu Helga, mit der sie manchmal schwatzte.
    Obwohl sein Nacken höllisch schmerzte, rannte er zu Hinnings Gehöft. Helga hängte gerade Wäsche auf die Leine, darunter ein Tuch, aus dem sie einen riesigen Blutfleck nicht ganz herausbekommen hatte.
    »Wo ist sie?«, fuhr Mertens die Tagelöhnersfrau an, die ihn erschrocken ansah, denn seine Augen glühten geradezu vor Hass.
    »Guten Morgen, Mertens, was führt dich her?«, fragte sie dennoch, wie es die Höflichkeit gebot.
    »Mein Weib, ist es bei
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