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Das Krähenweib

Das Krähenweib

Titel: Das Krähenweib
Autoren: Corina Bomann
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dir?«
    »Nein. Ich habe Annalena zuletzt gestern Nachmittag gesehen.«
    Mertens’ Lippen wurden zu einem schmalen, blutleeren Strich. Die Zornfalte zwischen seinen Augen grub sich tiefer in die Haut. Sagte sie die Wahrheit? Überprüfen konnte er es nicht. Schnaufend stieß er sich also vom Zaunpfosten ab und verschwand gruß- und danklos.
    Während er durch die Stadt lief, hielt er fieberhaft Ausschau nach Annalena. Viele Möglichkeiten, sich zu verbergen, hatte sie nicht. Sie war die Tochter eines Henkers, die Frau eines Henkersknechts, und alle wussten es.
    Schließlich kam er zu einem der Stadttore. Die Wachen dort blickten ihn verschlafen an. Aus ihrer Wachstube strömte der Geruch von saurem Wein und Schweiß.
    »He, Mertens, was rennst du denn so?«, rief einer der Männer.
    »Ich suche mein Weib. Ist es durch euer Tor gekommen?«
    »Nein«, antwortete der Wächter und blickte zu seinem Kameraden. »Hast du die Frau vom Mertens gesehen?«
    »Das Zigeunerweib?« Er schüttelte den Kopf und wandte sich an den Henkersknecht. »Ist sie dir etwa weggelaufen?«
    Als eine Antwort von ihm ausblieb, prusteten die Wächter los. Obwohl er Lust hatte, ihnen dafür eine Tracht Prügel zu verpassen, blieb Mertens nichts weiter übrig, als abzuwinken und sich dann umzuwenden.
    »Gnade dir Gott, Miststück, wenn ich dich finde«, murmelte er und stapfte davon.

3. Kapitel
    E iner Hölle zu entkommen bedeutete nicht immer, gleich das Paradies zu finden.
    Sie hielt sich wenn möglich im Wald, denn im Moor, das unter ihren Schritten gluckste und schmatzte wie ein Ungeheuer, und in der Heide, in der man sie auf weite Entfernungen sehen könnte, fühlte sie sich ausgeliefert. Aber auch die Geräusche des Waldes waren ihr fremd. Raschelnde Schritte, das Schnüffeln der Nachttiere, das Bellen der Füchse, das Rufen der Eulen und das ferne Heulen der Wölfe raubten ihr die Ruhe. Außerdem saß ihr die Angst vor Mertens im Nacken.
    In den ersten Tagen gönnte sie sich daher kaum Schlaf. Sie lief, bis ihre Füße schmerzten und ihre Beine vor Kraftlosigkeit zitterten.
    Sie bereute nicht, dass sie ihn von der Treppe gestoßen hatte. Im Gegenteil, sie empfand eine grimmige Genugtuung über ihre Tat. Ich hätte es schon viel früher tun sollen.
    Doch wenn sie sich unter einem Baum oder Strauch zum Schlafen niederlegte, suchten sie Träume von Mertens heim, die sie panisch hochschrecken ließen. Tagsüber konnte sie all dies jedoch vergessen und Pläne schmieden. Sie überlegte, welche Städte im Süden lagen. Sie hatte von Magdeburg gehört und von Leipzig, das im Reich des sächsischen Kurfürsten lag. Außerdem von Münster und von Nürnberg.
    Irgendwo dort werde ich mir eine Anstellung suchen. Sie würde noch einige Tage im Wald weiterwandern und dann nach der nächsten Ortschaft Ausschau halten, um zu fragen, welchen Weg sie in die nächste große Stadt einschlagen musste. Ihre Angst wurde immer weniger und ihr Gemüt hoffnungsfroh. Es war, als sei mit ihrer Flucht eine schwere Kette von ihr abgefallen. Trotzdem hielt sie während ihres Marsches wachsam Ausschau nach Wegelagerern oder anderen Reisenden, doch auf ihrem Weg fernab der großen Straßen traf sie niemanden, was sie ebenfalls froh stimmte.
    Doch nach einigen Tagen mit gutem Wetter setzten Frühjahrsschauer ein, die den Boden durchtränkten und sie von Kopf bis Fuß durchnässten. Fröstelnd suchte Annalena Unterschlupf unter Bäumen und Büschen. Wenn dann wieder die Sonne hervorkam, trat sie schnell in das wärmende Licht, um ihre Kleider ein wenig zu trocknen. Dem Proviant in ihrem Beutel half das aber auch nicht, er schimmelte, und Annalena war gezwungen, den Waldboden nach Nahrung abzusuchen.
    Sie wusste einiges über Kräuter, Wurzeln und Beeren und suchte nach Löwenzahn und Sauerampfer, die ihre ersten zarten Triebe durch den Boden schoben. Satt wurde sie nicht, aber ihr Körper gewöhnte sich daran. Als der Flusslauf wieder ihren Weg kreuzte, kam sie beim Trinken auf die Idee, es mit dem Fischefangen zu versuchen. Mit bloßen Händen war es bestimmt schwierig, aber doch einen Versuch wert.
    Annalena nahm den Rocksaum hoch, faltete ihn mehrere Male und knotete ihn so gut es ging um Hüften und Bauch fest. Als sie ins Wasser trat, wirbelten ihre Füße ein wenig Schlamm auf, der von der Strömung mitgerissen wurde.
    »Nur einen«, flehte sie leise, als sie wie gebannt auf die Wasseroberfläche starrte. »Bitte, Gott, lass einen Fisch hier entlangschwimmen. Nur einen
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