Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
Autoren: Stephen Hunt
Vom Netzwerk:
Gemurmel inne. »Weil du gebraucht wirst, meine Schöne mit den starken Armen.«
    Gebraucht? Die Hexen der Südlichen Wüste waren verrückt, irrvernebelt und kapriziös, und sie standen ganz sicher nicht in dem Ruf, gestrandeten Reisenden zu helfen.
    Amelia sah die Hexe an. »Wer braucht mich?«
    Die gedrungene, bucklige Gestalt beugte sich vor und nahm ein Blatt vom Boden auf, an dessen Rand einige Ameisen herumkrabbelten. »Ohne dieses Blatt wird die Ameise sterben, ohne die Ameise stirbt der Hirschkäfer, ohne den Hirschkäfer stirbt die Echse, ohne die Echse stirbt der Sandfalke, ohne den Sandfalken ist der Jäger blind – und wer kann sagen, was ein Jäger erreichen mag?«
    »Es fallen viele Blätter von den Bäumen von Jackals«, sagte Amelia. Sie bewegte ihre Schulter und war kaum überrascht, als sie merkte, dass das Fleisch rund um den Skorpionstich gereinigt und geheilt worden war.
    »Ach, meine Schöne«, kicherte die Hexe. »Du glaubst, ich hätte dir einen Dienst erwiesen?« Nun wurde ihre Stimme hart und hässlich. »Ein wahrer Dienst wäre
es gewesen, hätte ich die Sandwüste Cassarabiens das Mark aus deinen Knochen saugen lassen. Das leichte Stück des Weges liegt nun hinter dir.«
    »Ich danke dir trotzdem«, sagte Amelia. Wie alle ihrer Art war die alte Frau verrückt wie ein Blesshuhn und tödlich wie eine Viper. Es war besser, sie nicht zu reizen. »Für den harten Weg, der mir auferlegt wurde.«
    Hinter der Hexe erhob sich Nebel. Die Wetterfronten von Jackals und Cassarabien stießen hier im Hinterland aufeinander, und Nebel trat hier recht häufig auf. Normalerweise.
    »So gute Manieren. Was bist du doch für eine perfekte Tochter Jackals! Danke mir das nächste Mal, das du mich siehst, wenn du kannst.«
    Die Hexe wandte sich um und schritt vondannen, und ihr schweigendes Gefolge reihte sich hinter ihr ein wie Entenküken, die hinter der Mutter hertrippeln.
    Rund um Amelia waren nun die Rufe des Grenzmoorhuhns wieder in den Hügeln zu hören, während die bucklige Gestalt im Nebel verschwand. »Tja, verdammt. Da habe ich ja wohl richtig Glück gehabt.«
    Sie rieb sich den Tau von ihrer zerfetzten Kleidung – die für einen kühlen jackalianischen Morgen viel zu dünn war – und hielt nach Norden aufs Oberland zu. Tiefer hinein nach Jackals. Nach Hause.

2

    D er Gossenjunge, den seine Freunde Ducker nannten, bückte sich, um mit seinem improvisierten Holzpaddel einen Klumpen Pferdemist aufzuheben. Overhall Corner zählte zu den geschäftigsten Straßenkreuzungen im Herzen von Middlesteel und bot in der größten Stadt der größten Nation des ganzen Kontinents eine reiche Ernte. Wenn man einen Sack voller Pferdeäpfel vor dem Feuer trocknen ließ, hatte man eine ganze Woche lang genug Brennmaterial für den Küchenherd. Das war billiger als Kohle. Und der Geruch? Also, für den Preis, den man dafür zahlte, konnte man sich schnell daran gewöhnen. Und nie hätte man behaupten können, dass die Dungsammler von Overhall Corner keinen Spaß an ihrer Arbeit gehabt hätten. Auf der anderen Seite der Prachtstraße machte William ein beleidigendes Handzeichen, und schnell folgte ein Siegesschrei dem Klumpen Pferdemist, der knapp an Duckers Stoffmütze vorübergeflogen war. Ducker hob eine Handvoll Munition auf, flitzte an den Landauern und mit Fässern beladenen Wagen vorbei, das Wiehern der beleidigten Zugpferde in den Ohren, und
schickte dann sein Rachegeschoss zu seinem Dungsammlerkollegen hinüber. Der Pferdeapfel streifte den anderen Gossenjungen und verfehlte knapp einen Nuschelrauchverkäufer, dessen Tank mit dem betäubenden Gas vom feuchten Middlesteel-Straßennebel verrostet und zerbeult war.
    »Vermaledeite Dungburschen!« Der alte Verkäufer drohte den beiden Straßenkindern mit der Faust.
    »Nimm mal einen Zug von deinem eigenen Nuschelkraut und reg dich ab!«, schrie Ducker zurück.
    Ihr Schusswechsel – die beste Ablenkung, die sie den ganzen Morgen über genossen hatten – wurde von nervösem Hufgeklapper auf dem Kopfsteinpflaster unterbrochen. Das Jaulen einer pferdelosen Kutsche hatte die Pferde scheu gemacht, obwohl das leise Summen ihres Zahnradantriebs für menschliche Ohren kaum zu vernehmen war.
    »Beim Zirkel«, rief William, »nun guck sich bloß mal einer diese Schönheit an.«
    Ducker schubste seinen Freund aus dem Weg, um besser sehen zu können. Sprach Will von der Dame am Steuer oder von dem Wagen an sich? Schimmernder, goldbelegter Stahl, vorn zwei Räder, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher