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Das Kind

Titel: Das Kind
Autoren: Sebastian Fitzek
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hast du doch noch gesagt, es sei lange her. Was denn nun? Du musst dich schon entscheiden.«
Stern wünschte sich kurz, er hätte es im Kreuzverhör immer mit so einfachen Zeugen zu tun. Zehnjährige, die sich schon in den ersten Minuten ihrer Aussage in Widersprüche verstrickten. Doch dieser Wunsch währte nicht lange. »Sie verstehen mich nicht.« Simon schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe einen Mann getötet. Und zwar genau hier!«
»Hier?«, echote Stern und sah fassungslos zu, wie Simon sich sanft an ihm vorbeidrängte, aus dem Krankenwagen stieg und sich draußen interessiert umschaute. Soweit Stern seinen Blicken folgen konnte, blieben diese an einem her untergekommenen Geräteschuppen hängen, etwa hundert
Meter entfernt neben einer kleinen Baumgruppe. »Ja. Hier war es«, bestätigte Simon zufrieden und griff Carinas Hand. »Hier habe ich einen Mann erschlagen. Am 28. Oktober. Vor fünfzehn Jahren.«

2.
R obert stieg aus dem Rettungswagen und bat Simon, kurz
zu warten. Dann packte er Carina grob am Handgelenk und führte die Krankenschwester drei Schritte weiter hinter den Kofferraum seiner Limousine. Der Nieselregen hatte etwas nachgelassen, dafür war es dunkler, windiger und vor allem kühler geworden. Weder Carina mit ihrem dünnen Dienstkittel noch er in seinem schwarzen Westenanzug war für dieses Schmuddelwetter passend angezogen. Doch im Gegensatz zu ihm schien sie überhaupt nicht zu frieren. »Kurze Frage«, flüsterte er, obwohl Simon ihn aus dieser Entfernung sicher nicht hören konnte. Der Wind und das monotone Brandungsrauschen der Stadtautobahn schluckten alle anderen Geräusche. »Wer von euch beiden hat hier die größere Schraube locker?«
»Simon ist Patient bei mir auf der Neurologie«, sagte Carina, als hätte das irgendetwas erklären können. »Auf der Psychiatrie wäre er vielleicht besser aufgehoben«, zischte Stern. »Was soll der Quatsch mit dem Mord vor fünfzehn Jahren? Kann er nicht rechnen oder ist er schizophren?« Er öffnete mit der Funksteuerung seines Autoschlüssels den
Kofferraum. Gleichzeitig aktivierte er das Innenlicht, damit man in dem regentrüben Halbdunkel hier draußen überhaupt etwas erkennen konnte.
»Er hat einen Hirntumor.« Carina formte mit Daumen und Zeigefi nger einen Ring, um die Größe zu demonstrieren. »Sie geben ihm noch wenige Wochen. Vielleicht nur noch Tage.«
»Großer Gott, und das Ding hat diese Nebenwirkungen?« Stern nahm einen Regenschirm aus dem Kofferraum. »Nein. Daran bin ich schuld.«
»Du?«
Er sah von seiner Hand auf, in der er das nagelneue Designerstück hielt, dessen Funktionsweise sich ihm gerade nicht erschloss. Er fand noch nicht einmal den Druckknopf, um den Schirm aufzuspannen.
»Ich sagte doch, ich hab Mist gebaut. Du musst wissen, der Kleine ist hochintelligent, unglaublich sensibel und für sein Alter erstaunlich gebildet, was angesichts der Verhältnisse, aus denen er stammt, für mich an ein Wunder grenzt. Als er vier Jahre alt war, hat man ihn von seiner asozialen Mutter befreit. Aus einer völlig verwahrlosten Wohnung – man fand ihn halb verhungert neben einer toten Ratte in der Badewanne. Dann kam er ins Heim. Dort fiel er auf, weil er lieber im Lexikon las, als mit Gleichaltrigen zu raufen. Seine Betreuer hielten es für normal, dass einem Kind, das so viel nachdenkt, ständig der Kopf wehtut. Doch dann wurde das Ding in seinem Gehirn entdeckt, und seit er auf meiner Station liegt, hat er niemanden mehr außer dem Krankenhauspersonal. Eigentlich hat er nur mich.«
Jetzt fröstelte Carina doch, denn ihre Lippen begannen zu zittern.
»Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst.«
»Simon hatte vorgestern Geburtstag, und da hab ich ihm ein besonderes Geschenk machen wollen. Ich meine, er ist zwar erst zehn. Aber er ist durch seine Lebenserfahrung und seine Krankheit um so vieles reifer als andere Kinder in diesem Alter. Ich dachte, er wäre nicht zu jung dafür.« » Wofür? Was hast du ihm geschenkt?« Stern hatte es end gültig aufgegeben, den Schirm öffnen zu wollen, und hielt ihn jetzt wie einen Zeigestab auf ihre Brust gerichtet. »Simon hat Angst vor dem Tod, also hab ich eine Rückführung organisiert.«
»Eine was? «, fragte Robert, obwohl er erst kürzlich etwas darüber im Fernsehen gesehen hatte.
Es war typisch für Carina, natürlich auch diesen esoterischen Trend mitzumachen. Die Idee, in einem früheren Leben schon einmal auf der Welt gewesen zu sein, faszinierte anscheinend Menschen aller
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