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Das Kind

Titel: Das Kind
Autoren: Sebastian Fitzek
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Holzwand. Es knackte, so wie bei seinem ersten Schritt vorhin auf der Treppe, nur viel lauter, und dann brach
er durch etwas hindurch, das dem Geräusch nach eine Sperrholzplatte sein musste. Oder eine Tür. In seiner Urangst sah er sich einen unbefestigten Bergbauschacht oder einen unendlichen Brunnen hinunterfallen, doch sein Sturz wurde schon nach wenigen Zentimetern brutal vom festgetretenen Erdboden abgefangen. Das einzig Positive an der neuen Lage war, dass das Wasser offenbar noch nicht in diese Ecke des Kellers eingedrungen war. Stattdessen lösten sich undefi nierbare Gegenstände von Decke und Wänden und fi elen unsanft auf ihn herab.
O mein Gott . Stern traute sich nicht, das mittelgroße, rund liche Etwas zu berühren, das gerade unsanft in seinem Schoß gelandet war. Zu sicher war er sich in einem ersten alptraumhaften Gedanken, er würde über bläuliche Lippen und ein aufgedunsenes Gesicht tasten: über das tote Gesicht von Felix.
Doch dann wurde es langsam heller um ihn herum. Er blinzelte, und es brauchte etwas länger, bis Stern registrierte, woher die unerwartete Lichtquelle kam. Erst als sie direkt vor ihm stand, erkannte er Carina, die mit ihrem grünlich schimmernden Handydisplay mehr schlecht als recht den Verschlag ausleuchtete, in den er gefallen war. Stern sah ihre Schreie, noch bevor er sie hörte. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Carina ihren Mund lautlos geöffnet, bevor ihre gellende Stimme von den Betonwänden widerhallte. Stern schloss die Augen.
Schließlich nahm er doch allen Mut zusammen und sah an sich herunter.
Dann wollte er sich übergeben.
Der Kopf in seinem Schoß steckte wie der Knauf einer Gardinenstange an dem Rest einer teilweise skelettierten Leiche. Mit einer Mischung aus Unglauben, Ekel und fassungslosem
Entsetzen registrierte Stern den klaffenden Spalt, den die Axt in dem geschundenen Schädel hinterlassen hatte. 

4.
D ie Tränen schossen dem Polizisten schneller in die Augen,
als er blinzeln konnte. Martin Engler stöhnte mit geschlossenem Mund, warf seinen Kopf in den Nacken und tastete blind mit einer Hand auf dem Verhörtisch umher, bis er endlich gefunden hatte, wonach er suchte. In letzter Sekunde riss er die Packung auf, fi ngerte ein Taschentuch heraus und hielt es sich vor die Nase.
Haaaaaatsschioooch …
»Entschuldigung.« Der Ermittler der Mordkommission schneuzte sich, und Stern überlegte, ob Engler gerade mit seinem gewaltigen Nieser auch ein kaum vernehmliches »Arschloch« ausgestoßen hatte.
Gepasst hätte es. Nachdem Stern für mehrere von Englers persönlichen Verhaftungen Freisprüche erwirkt hatte, zählte der Anwalt nicht gerade zu den engsten Freunden des Kommissars.
»Hhhmmm.«
Der übergewichtige Mann, der direkt neben Engler saß, hatte sich geräuspert. Stern wandte sich kurz dem Beamten zu, unter dessen Doppelkinn ein gewaltiger Adamsapfel herausstach. Beim Betreten des fensterlosen Verhandlungszimmers hatte er sich ihm als Thomas Brandmann vorgestellt. Ohne e er seitdem alle fünf Minuten aus seinem Kehlkopf presste, hatte er noch kein einziges Wort von sich gegeben. Stern wusste nicht, was er davon halten sollte. Anders als Engler, der seit über zwanzig Dienstjahren fast schon zum Inventar der Kripo zählte, hatte er diesen Hünen noch nie zuvor gesehen. Seine mangelnde Kommunikationsbereitschaft mochte bedeuten, dass er die Ermittlungen leitete. Oder das genaue Gegenteil. »Wollen Sie auch?« Engler hielt eine Packung Aspirin in die Luft. »Sie sehen so aus, als ob Sie eine gebrauchen könnten.«
»Nein, danke.« Stern schüttelte den Kopf und griff sich an die schmerzende Beule, die auf seiner Stirn pochte. Nach dem Sturz im Keller dröhnte sein Schädel, und er ärgerte sich über die Tatsache, dass der Kommissar sogar jetzt, wo er mit geröteten Augen und laufender Nase vor ihm saß, einen vitaleren Gesamteindruck machte als er selbst. Sonnenbank und morgendliche Waldläufe erzielten eben eine andere Wirkung als lange Nächte vor dem Computer in der Kanzlei.
»Gut, dann fasse ich mal zusammen.«
Der Ermittler griff nach seinem Notizblock, und Stern konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als Brandmann sich schon wieder räusperte, obwohl er immer noch nichts zu sagen hatte.
»Sie fanden die Leiche heute Nachmittag, etwa gegen 17.30 Uhr. Ein Junge, Simon Sachs, hat Sie in Begleitung einer Krankenschwester, Carina Freitag, zu dem Fundort geführt. Besagter Simon ist zehn Jahre alt, an einem Hirntumor erkrankt und wird
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