Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Kind

Titel: Das Kind
Autoren: Sebastian Fitzek
Vom Netzwerk:
weiteren Vorwürfen seines Vaters und nahm den Rückruf seiner Sekretärin entgegen.
»Lassen Sie mich raten: Carina hat den Termin abgesagt?« Das würde ihr ähnlich sehen. In ihrem Beruf war sie eine zuverlässige und tüchtige Krankenschwester, ihre privaten
Verpflichtungen organisierte sie hingegen genauso wie ihr Liebesleben: chaotisch, wechselhaft und absolut unkoordiniert. Obwohl ihre Beziehung schon vor drei Jahren nach nur wenigen Wochen in die Brüche gegangen war, telefonierten sie noch regelmäßig miteinander und trafen sich sogar manchmal auf einen Kaffee. Beides endete in der Regel im Streit.
»Nein, ich konnte Frau Freitag leider nicht erreichen.« »Okay, danke.« Stern aktivierte die elektronische Zündung und zuckte nervös zusammen, als der Herbstwind unvermittelt einen Regenschwall auf die Windschutzscheibe klatschen ließ. Er schaltete die Wischer an und blieb mit seinem Blick kurz an einem rotbraunen Ahornblatt hängen, das sich außerhalb ihres Einzugsbereichs festgesaugt hatte. Dann drehte er sich um und setzte langsam mit knirschenden Reifen über den Rollsplitt zurück.
»Wenn Carina sich melden sollte, dann sagen Sie ihr bitte, dass ich hier unmöglich noch länger …« Stern stockte, als er wieder nach vorne sah und den ersten Gang einlegen wollte. Was immer da mit blinkenden Warnleuchten in zweihundert Meter Entfernung frontal auf ihn zuraste – es war nicht Carinas altersschwacher Kleinwagen. Der weiß-rote Kastenwagen schoss mit der höchsten Geschwindigkeit die Zufahrt hoch, die die Schlaglöcher erlaubten.
Für einen kurzen Moment dachte Stern, der Fahrer wolle ihn tatsächlich rammen, doch dann drehte dieser ab, und der Krankenwagen kam seitlich von ihm zum Stehen. »Papa?«, aktivierte Robert wieder die andere Leitung, nachdem er sich von seiner Sekretärin verabschiedet hatte. »Mein Termin ist da, ich muss Schluss machen«, erklärte er, obwohl sein Vater bereits aufgelegt hatte. Dann drückte er die schwere Limousinentür gegen eine Windböe nach außen
und stieg aus.
Was zum Teufel will sie mit einem Krankenwagen?
Carina sprang von der Fahrerseite in eine Pfütze, aber es schien ihr nichts auszumachen, dass sie damit ihre weiße Schwesterntracht mit tiefschwarzen Dreckfäden besprenkelte. Sie trug ihr langes, rotweinfarbenes Haar zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden und sah damit so blendend aus, dass Stern sie gerne in den Arm genommen hätte. Doch irgendetwas an ihrem Blick hielt ihn davon ab. »Ich stecke echt verdammt tief in der Scheiße«, sagte sie und zog eine Packung Zigaretten hervor. »Ich glaube, dieses Mal habe ich wirklich Mist gebaut.«
»Was soll das Theater?«, fragte Stern. »Warum treffen wir uns nicht in meiner Kanzlei, sondern ausgerechnet hier, auf diesem … diesem Schlachtfeld?«
Jetzt, da er nicht mehr von den gut isolierten Türen seiner Limousine abgeschirmt wurde, spürte er die unangenehme Kälte des auffrischenden Oktoberwindes. Er zog seine Schultern fröstelnd zusammen.
»Lass uns keine Zeit verlieren, ja? Ich hab mir den Krankenwagen nur ausgeborgt und muss ihn ganz schnell zurückbringen.«
»Okay. Aber wenn du was ausgefressen hast, bespricht sich das bestimmt besser an einem zivilisierten Ort.« »Nein, nein, nein.« Carina schüttelte den Kopf und hob dabei abwehrend die Hand. »Du verstehst nicht! Hier geht’s nicht um mich.«
Sie ging mit festen Schritten um den Rettungswagen herum, öffnete die Hintertür und deutete ins Wageninnere. »Dein Mandant liegt da drinnen.«
Stern warf Carina einen prüfenden Blick aus den Augen winkeln zu. Er hatte schon viel erlebt, und der Anblick eines
angeschossenen Bankräubers, eines Opfers von Bandenkriminalität oder sonst eines zwielichtigen Klienten, der dringend und vor allen Dingen anonym seine Hilfe brauchte, war nichts Neues für ihn. Er fragte sich nur, was Carina damit zu schaffen hatte.
Als sie nichts weiter zu ihm sagte, stieg er langsam die Metallstreben nach oben ins Innere des Rettungswagens. Sein Augenmerk fi el sofort auf den Körper, der reglos auf der Trage lag.
»Was soll das?« Er drehte sich ruckartig zu Carina um, die unten vor dem Wagen stehen geblieben war und sich eine Zigarette anzündete. Etwas, was sie nur selten tat, und immer nur dann, wenn sie extrem nervös war. »Du schleppst einen kleinen Jungen hier raus? Wozu?«
»Das soll er dir selber sagen.«
»Der Knirps sieht aber nicht so aus, als ob er …«, reden könnte, hatte Stern den Satz vollenden wollen, denn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher