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Das Kind

Titel: Das Kind
Autoren: Sebastian Fitzek
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noch nie so wohnlich eingerichtet gewesen war wie heute. Sie stand auf, um sich etwas zu trinken zu holen. Stern sah den zierlichen Fußstapfen hinterher, die sie in dem weichen Sand hinterließ.
»Pass auf«, sagte er nach einer Weile zu Simon, der jetzt ausgestreckt neben ihm lag und zur Decke hochschaute. Dort, wo eigentlich ein Kronleuchter hätte hängen müssen, baumelte heute ein Netz voller echter Kokosnüsse. »Professor Müller hat mir eben gesagt, dass er es vielleicht doch noch mal mit der Therapie versuchen will. Manchmal spinnt so eine Computertomographie-Aufnahme vom Gehirn, weißt du. Er wird morgen kontrollieren, wie weit dein Tumor wirklich in die andere Hirnhälfte gewachsen ist, und dann …«
Stern stockte.
»Simon?«
»Ja?«
»Was hast du?«
»Ich… ich weiß nicht.«
Der Junge richtete seinen Oberkörper auf und sah genauso entsetzt auf seinen linken Fuß wie Stern selbst. »Carina?«, rief Robert und stand auf.
»Keine Sorge, es ist nur ein epileptischer Anfall«, beruhigte er mehr sich selbst als den Kleinen. Das Zittern hatte vom Fuß aus mittlerweile sein gesamtes Bein erfasst. Und doch schien es anders als das Zucken, das Stern schon einmal miterlebt hatte. Es ergriff nicht seinen gesamten Körper, wirkte aber dennoch wesentlich bedrohlicher.
»Platz da«, rief Carina, die gemeinsam mit dem Chefarzt zu ihnen herübergeeilt war. In ihrer Hand befanden sich schon die Lorazepamtropfen.
»Ist gut, alles ist gut.«
Simons Perücke löste sich, als sie ihm die Haare aus der Stirn strich.
»Wir müssen ihn sofort zurückbringen«, erklärte Professor Müller leise.
Stern nickte und stand auf. Er fühlte sich wie nach einem Auffahrunfall. Eben hatten sie noch gelacht, und jetzt musste er zusehen, wie ein krankes Kind von Borchert zur Tür hinausgetragen wurde.
»Fahrt den Wagen vor. Schnell«, hörte er Carina rufen, während er dem Tross hinterhereilte. Der warme Sand unter seinen Füßen hatte sich zu einem Sumpf verwandelt, der seine Knöchel umklammerte, damit er nicht schnell genug laufen konnte. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit war er in seinem Vorgarten angelangt, durch den er jetzt schneller spurtete, bis er im Krankenwagen endlich neben Simons Tragebett kniete.
»Hör mal«, sagte er leise, aus Angst, der Junge würde seine
Furcht hören, sobald er lauter spräche.
»Hab jetzt nur keine Angst, okay? Das wird alles wieder gut.«
»Ja, vielleicht.«
»Nein, hör mir zu. Sobald Professor Müller das in den Griff bekommen hat, werden wir an einen richtigen Strand fahren, ja?«
Er griff nach Simons Hand. Spürte keinen Gegendruck. »Du musst nicht traurig sein«, sagte der Junge. »Bin ich nicht«, weinte Stern.
»Es war doch schön. Wir haben viel Spaß gehabt.« Simon klang immer müder. »Ich hab so was noch nie erlebt. Die Disco, der Zoo, der Videofi lm mit den Zwillingen und dann die tolle Party …«
»Lass uns nicht von der Vergangenheit reden, okay?« »Doch, das will ich aber«
Stern zog die Nase hoch. »Was meinst du?« »Wir müssen jetzt los«, rief der Fahrer von vorne. Carinas Hand hatte sich auf seine Schulter gelegt und zog ihn sanft nach hinten. Stern schüttelte sie ab.
»Worüber willst du reden, Simon?«
Die Lider des Jungen senkten sich wie welkende Blätter. »Über die Kellerlampe.«
»Wie bitte?« Der Motor wurde gestartet, und gleichzeitig erstarb etwas in Sterns Innerstem.
Knack .
»Sie hat wieder gefl ackert. Vorhin. Als ich so lange geschlafen habe.«
Nein, nein, nein, brüllten die wachsenden Schmerzen in
Sterns Kopf.
Knack. Knack.
»Diesmal war es noch dunkler. Furchtbar dunkel. Ich konn te kaum was sehen.«
Nein, bitte nicht. Lass diesen Alptraum nicht von vorne be-
ginnen, dachte Stern und fühlte ein eisiges Gift in seine
Adern strömen, als ihm der Junge eine letzte Adresse nannte. Dann verlor Simon das Bewusstsein.
Zehn Tage später
Park Inn.
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Jemand hatte schon vor einer Ewigkeit die vergilbten Steckbuchstaben in die Rillen des braunen Filzbretts über der Rezeption gedrückt und rechnete zu dieser Jahreszeit offensichtlich nicht mehr damit, dass irgendwer dieser Aufforderung tatsächlich nachkommen wollte. Der Empfang des billigen Motels war genauso verlassen wie die Straßen des Ortes, durch die sie bei ihrer Ankunft gefahren waren. »Hallo?«, rief Stern und sah sich nach einer dieser Tischglocken um, mit denen man sich üblicherweise in Hotels bemerkbar machen konnte. Aber auf dem Tresen standen nur zwei
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