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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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dort Esstische aufstellen lassen. Sie sind sorgfältig eingedeckt, mit weißen Tischdecken, Kerzen, Herbstblumen und silbernem Besteck. Die Seiten des Raums sind mit dunkelblauem Stoff verhängt und haben jetzt eine strengere, festliche Note, und vor der alten Bühne hängt ein roter, schwerer Samtvorhang. Ich setze mich mit Paula in eine der hinteren Stuhlreihen, von dort aus können wir alles gut überblicken.

    – Eigentlich ist das Restaurant nur abends geöffnet, sage ich, die Gäste kommen wegen der exzellenten sizilianischen Küche von weither. Es gibt aber nicht mehr als zehn Tische, das reicht. Die Küche ist in der linken Foyerhälfte untergebracht, sie ist geräumig und liegt praktisch, denn die Anlieferung der Waren kann direkt über den Domplatz erfolgen. Das Kassenhäuschen aus den fünfziger Jahren ist geblieben, dort sitzt der Empfangschef, begrüßt die Gäste, führt sie nach rechts zur Garderobe und dann weiter in den Speiseraum, um ihnen einen Tisch zuzuweisen. In der hinteren Hälfte des Raums gibt es noch zehn
Stuhlreihen mit Sitzplätzen für eine Film-, Theater-oder Musik-Aufführung. Vor oder nach dem Essen bekommen die Gäste so etwas geboten. Es gibt ein Monatsprogramm mit den Themen und Titeln, das steht im Netz und hängt auch noch überall aus, so dass die Gäste wissen, was sie an einem Abend zu sehen und zu hören bekommen. Bei ihrem Eintritt in den Speiseraum spielt Musik aus den fünfziger Jahren. Etwa so …

    Ich hebe die rechte Hand, das Lampenlicht im Raum wird daraufhin schwächer, und aus den Lautsprechern zu beiden Seiten der Bühne dringt Musik in den Raum.
    – Das ist ja Rosa Balistreri! sagt Paula.
    – Ja, natürlich, das ist Rosa. Oder Chansons aus Frankreich. Oder kubanische Musik. Oder Ray Charles. Was immer Du hören möchtest …
    – Das kann ja alles nicht wahr sein, sagt Paula.
    – In etwa einem Jahr könnte es das aber sein, antworte ich, das Restaurant gehört Dir, aber ich helfe nach Kräften mit. Und an Geld steuere ich auch etwas bei, das ist mit meinen Brüdern fest vereinbart. An Miete zahlen wir der Stadt vorerst nur eine sehr niedrige Summe. Enrico Bonni ist froh, dass aus dem alten Kino ein Restaurant wird. Aber nun schau, jetzt öffnet sich sogar der Vorhang!

    Ich gebe wieder ein kurzes Zeichen, und wahrhaftig öffnet sich nun der Vorhang, und wir schauen auf die Bühne und sehen dort einen einzelnen Zweier-Tisch, ebenfalls festlich gedeckt. Ein Scheinwerfer taucht ihn in ein mattes Licht, eine Kerze brennt, und ich bitte Paula, mit mir hinauf auf die Bühne zu gehen.
    – Zu Mittag gibt es nur eine Kleinigkeit, sage ich, sizilianische
Pasta, etwas Fisch und ein paar Dolci. Das eigentliche Festessen zu Deinem Geburtstag findet heute Abend statt. Ich habe eine Festgesellschaft für genau zehn Tische eingeladen, es sind ungefähr fünfzig Personen.
    – Fünfzig Personen?! Um Gottes willen!
    – Lass nur, es sind alles gute Bekannte, das wird eine festliche, schöne Szene, und wir können davon träumen, dass es in ein paar Monaten genau so sein wird: Zehn Tische, fünfzig oder sechzig Personen, bei der Eröffnung Deines Restaurants!
    – Ich kann das alles nicht glauben, sagt Paula, entschuldige, aber ich bin völlig verwirrt.
    – Verwirrt? Wieso denn verwirrt? Neinnein, das soll nicht sein. Es ist »großer Film«, das ist es. Einmal im Leben habe ich ein Drehbuch geschrieben, das nicht nur in der Schublade bleibt. Seit meiner Kindheit habe ich von einem solchen Drehbuch geträumt. Dass meine Fantasien Wirklichkeit werden, dass ich endlich die Rolle spielen darf, die ich spielen möchte.
    – Und die wäre?
    – Meine Rolle wäre genau hier, an Deiner Seite. Liebe Paula, dieses Drehbuch ist mein Geschenk an Dich für unser zukünftiges Leben zu zweit.

    Sie sagt nichts mehr, die Szene und meine Worte sind im Augenblick einfach zu stark. Großer Film , denke ich, das ist es wahrhaftig, ich habe es endlich hinbekommen, einmal im Leben! Wir sitzen noch eine Weile nebeneinander, und Paula beginnt nun auch zu fantasieren, sie spricht von der sizilianischen Küche und entwirft eine erste Speisekarte, sie summt die Musik mit, und ich spüre: Jetzt ist die Begeisterung da, der große Film kommt ins Laufen, und sie übernimmt die wichtigste Rolle.

    Später gehen wir zusammen hinauf auf die Bühne und hören Chansons aus Frankreich, die jungen Mädchen aus der Garderobe sind zur Stelle und bedienen uns, und von einer Bühnenseite her erscheint Alberto und
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