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Das Kind, Das Nicht Fragte

Das Kind, Das Nicht Fragte

Titel: Das Kind, Das Nicht Fragte
Autoren: Hanns-Josef Ortheil
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lächelt und nickt, als hätte er damit gerechnet. Als er davoneilt, um die neue Flasche zu holen, entschuldige ich mich, stehe auf und gehe hinter ihm her. Ich bekomme ihn gerade noch vor der Küche zu fassen und bitte ihn, die zweite Flasche nicht mehr zu bringen. Mauro nickt wieder, und erneut sieht es so aus, als hätte er auch das erwartet.
    – Ich wollte nicht widersprechen, professore, Sie verstehen das sicher, flüstert er.
    – Ich verstehe genau, antworte ich. Kommt es häufiger vor, dass Adriana etwas mehr Wein trinkt, als sie verträgt?
    – Sie trinkt sonst fast überhaupt keinen Wein, höchstens zum Essen ein halbes Glas, antwortet er.
    – Sie brauchen mir nicht zu antworten, wenn ich Sie jetzt etwas indiskret frage …
    – Neinnein, es ist schon in Ordnung, professore, fragen Sie nur!
    – War Adriana häufig in Begleitung anderer Männer hier?
    – Nein, sie war hier nur mit ihren Eltern.
    – Haben Sie vielleicht eine Ahnung, warum sie sich nicht wohlfühlt?
    – Nein, ich habe überhaupt keine Ahnung.
    – Nun gut, dann werde ich jetzt dafür sorgen, dass Adriana und ich von hier verschwinden. Ich werde sie nach Hause fahren, und wir werden beim nächsten Mal mehr bestellen, das verspreche ich Ihnen.
    – Kein Problem, professore, wirklich nicht. Ich denke auch, es ist besser, die Signorina nach Hause zu fahren.
    – Ich komme morgen vorbei und bezahle, ich möchte Verzögerungen unseres Abgangs jetzt lieber vermeiden.
    – In Ordnung, professore, es hat keine Eile, Sie kommen morgen und bezahlen.

    Ich lege ihm dankbar kurz eine Hand auf die Schulter und gehe zu Adriana zurück. Sie sieht wieder etwas erholt aus und verblüfft mich damit, dass sie raucht. Sie hat ein Bein über das andere geschlagen und anscheinend den Kopf weiter mit Eis gekühlt, jedenfalls hängen ihr einige Haare nass in die Stirn. In ihrem Fall mindert das den Reiz ihres Gesichts aber nicht, sondern erhöht ihn eher. ( Warum ist das so? denke ich einen Moment und befehle mir, diese Frage sofort wieder zu vergessen.) Ich setze mich, hole tief Luft und will etwas sagen, als sie mir zuvorkommt:
    – Ich weiß, was Du sagen willst, haucht sie, und ich reagiere nicht, weil sie mich plötzlich duzt.
    – Ich weiß genau, was Du sagen willst, wiederholt sie noch leiser und lächelt. Du willst sagen, dass dies hier, jetzt, in diesem Moment, zu dieser Stunde, nicht der richtige Platz für uns ist. Du willst sagen, dass wir uns Pasta und den obligatorischen Fisch aus dem Ofen mit Kartoffeln, Tomaten und einem Zweig Rosmarin schenken. Du willst sagen, dass wir gehen sollten, sofort, jetzt, in diesem Moment, zu dieser Stunde. Und Du willst sagen, dass Du bezahlt hast und mich jetzt nach Hause bringst.

    Unwillkürlich stehe ich auf, trete neben ihren Stuhl und gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. Ich bitte sie um den Autoschlüssel, und dann reiche ich ihr die Hand und halte sie fest, und wir gehen wie zwei verliebte Teenager, die sich verlaufen haben, hinüber in den Essraum
und hinunter zum Wagen. Sie singt leise, es ist wieder Ray Charles, und ich lasse sie einsteigen und setze mich hinter das Steuer und versuche, mit dem fremden Wagen zurechtzukommen.
    – Benjamin? sagt sie da leise (und sie sagt Benjamin und nicht Beniamino, als verfiele sie nun plötzlich von der Synchron-in die Originalsprache). Benjamin, bitte, wir schlafen jetzt miteinander, sofort, heftig und schön. Tun wir das?
    Ich antworte nicht, sondern frage sie nach der genauen Adresse und bitte sie darum, mir dabei zu helfen, den richtigen Weg zu finden.
    – Fahr los, Benjamin! sagt sie dann, ich habe eine große Überraschung für Dich.

    Ich reagiere auch darauf nicht und fahre los, sie redet nicht weiter, sondern lässt Ray Charles für uns singen, das Einzige, was sie sagt, bezieht sich auf unsere Strecke. Wir erreichen den Corso und zweigen in eine Seitenstraße ab, sie führt in die Höhe, und wir folgen ihr zwei, drei Minuten, dann erscheint zur Rechten ein einzeln dastehendes Haus. Als ich halte, sucht sie nach dem Schlüssel und findet ihn erstaunlich schnell.
    – Komm, Benjamin! sagt sie und steigt aus, und ich steige ebenfalls aus und begleite sie bis zu ihrem Zuhause. Vor der Tür bleibt sie kurz stehen und schaut mich an: – Seit einer Woche wohne ich hier, Benjamin. Ich wohne endlich allein, meine Eltern haben mir hier eine Wohnung geschenkt, und Du bist der erste Gast, der sie betritt.

    Ich kann mich jetzt nicht von ihr verabschieden, es würde sie
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