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Das Kartengeheimnis

Das Kartengeheimnis

Titel: Das Kartengeheimnis
Autoren: Jostein Gaarder
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solange es eine Geschichte und eine Menschheit gab, in denen die Joker sich tummeln konnten. Das alte Athen hatte Sokrates, Arendal hatte meinen Vater und mich, wenn ich das mal so sagen darf. Und es gab sicher noch andere Orte und andere Zeiten mit Jokern, auch wenn es von uns nicht gerade wimmeln dürfte.
    Den allerletzten Satz im Jokerspiel hatte der Bäcker-Hans sich gemerkt. Es war nicht schwer gewesen, denn wegen der Ungeduld des Pik Königs wurde er gleich dreimal aufgesagt: »Wer das Schicksal durchschauen will, muß es überleben.«
    Vielleicht richtete sich dieser Satz vor allem an den Joker, der ein Jahrhundert nach dem anderen überlebte. Aber auch ich glaubte jetzt, das Schicksal zu durchschauen – das hatte ich der langen Geschichte in dem Brötchenbuch zu verdanken, von der ich selber ein kleiner Teil war. Und war es so ähnlich nicht bei allen Menschen? Unser Leben auf Erden mag verschwindend kurz wirken – und dennoch haben wir teil an einer gemeinsamen Geschichte, die uns alle überdauert. Denn wir leben nicht nur unser eigenes Leben. Wenn wir alte Orte wie Delphi und Athen aufsuchen, können wir das sogar erleben: Wir können dort umhergehen und die Atmosphäre von Menschen spüren, die vor uns auf der Erde gelebt haben.
    Ich schaute aus dem Hotelzimmer, das auf einen kleinen Hinterhof hinausging. Dort unten war es stockfinster, aber in meinem Kopf strahlte ein Licht. Ich glaubte, einen seltenen Überblick über die Geschichte der Menschen erhalten zu haben. Das war die große Patience. Und nur eine einzige kleine Karte fehlte noch in meiner eigenen kleinen Familienpatience.
    Ob wir in Dorf Großvater finden würden? War es möglich, daß Großmutter schon bei dem alten Bäcker eingetroffen war? Die Dunkelheit im Hinterhof wurde schon blau, als ich endlich vollständig angezogen auf dem Bett einschlief.

HERZ BUBE
    ... einen kleinen Mann, der sich auf dem Rücksitz zu schaffen machte...
    Als wir am nächsten Morgen Richtung Norden fuhren, wurde über Großvater erst wieder gesprochen, als Mama zu mir nach hinten gewandt sagte, die Idee, diesen Bäcker in Dorf zu besuchen, sei übrigens haarscharf an der Grenze dessen, was sie an Schnapsideen kleiner Jungs noch ertragen könne. Vater behauptete daraufhin nicht, mehr Vertrauen zu dieser Bäckergeschichte zu haben als sie, aber er nahm mich in Schutz, und das war mir wichtig.
    »Jetzt fahren wir eben auf demselben Weg nach Hause«, sagte er. »Und in Dorf kaufen wir uns eine große Tüte Rosinenbrötchen. Schlimmstenfalls werden wir schön satt davon. Und was die Schnapsideen kleiner Jungs angeht, sind dir die ja nun ein paar Jahre lang erspart geblieben, nicht wahr.«
    Mama überspielte die gefährliche Situation, in dem sie Vater den Arm um die Schultern legte.
    »So habe ich das nicht gemeint«, murmelte sie.
    »Vorsicht«, murmelte er, »ich fahre.«
    Worauf sie sich zu mir umdrehte: »Tut mir leid, Hans-Thomas. Aber du darfst auch nicht zu enttäuscht sein, wenn dieser Bäcker nicht mehr über Großvater weiß als wir selber.«
    Das Rosinenbrötchenfest konnten wir erst feiern, wenn wir irgendwann am Abend in Dorf eintrafen; so lange konnten wir mit dem Essen nicht warten. Also fuhr Vater um die späte Mittagszeit nach Bellinzona und hielt in einer Seitenstraße zwischen zwei Restaurants. Während wir Pasta und Kalbssteak aßen, machte ich den Patzer meines Lebens: Ich erzählte den beiden von dem Brötchenbuch. Alles andere geschah dann wohl genau deshalb: weil ich das große Geheimnis nicht für mich behalten konnte...
    Ich erzählte ihnen also, daß ich in einem der Brötchen aus der Tüte, die ich von dem alten Bäcker bekommen hatte, ein Büchlein gefunden hatte. Und wie gut es sich dann traf, daß der Zwerg von der Tankstelle mir eine Lupe schenkte. Erst von dem Brötchen, dann von der Lupe und schließlich in groben Zügen die Geschichte, die in dem Brötchenbuch stand.
    Ich habe mich oft gefragt, wie ich so dämlich sein konnte, das feierliche Versprechen zu brechen, das ich dem alten Bäcker gegeben hatte. Und ausgerechnet jetzt, wo wir nur noch wenige Stunden von Dorf entfernt waren. Inzwischen glaube ich, die Antwort zu wissen: Ich wünschte mir so sehr, in dem kleinen Alpendorf wirklich meinen Großvater gefunden zu haben – und ich wünschte mir ebensosehr, daß auch Mama das glaubte. Durch meine Redseligkeit aber machte ich alles nur viel schwieriger.
    Als ich geendet hatte, sah Mama erst Vater an und dann mich.
    »Daß du eine
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